Die Schweiz hatte niemals Kolonien besessen. Sie hat nicht einmal versucht – so wie Deutschland – bei der Aufteilung der Welt noch einen letzten Zipfel zu ergattern. Das war auch gar nicht nötig, denn die Schweiz profitierte, auch ohne dass sie für die Aufwände von Kolonien hätte teures Geld ausgeben müssen.
Sie hatte keine Soldaten, keine Beamten und auch keine Seeflotte, dafür Forscher, Missionare, Händler, die sich dank der Neutralität und der globalen Vernetzung der helvetischen Oberschicht in den Kolonien meist herzlich willkommen fühlen durften. Zumindest bei den Kolonialherren.
Kaum sichtbare Spuren
Da es keine eigenen Kolonien gab, gibt es in der Schweiz auch wenig sichtbare Spuren ihrer kolonialen Vergangenheit. Doch wenn man sucht, findet man sie in den Archiven – und da haben junge Historiker und Historikerinnen seit einigen Jahren angefangen, genauer hinzuschauen.
Sie förderten Akten zutage, die belegen, wie stark die Schweiz am Sklavenhandel verdient hatte. Sie fanden Briefe von jungen Männern – zum Beispiel von dem Zürcher Jakob Christoph Ziegler, der seiner Mama Briefe schrieb aus Indonesien, wo er im Sold der holländischen Armee stand.
Treuherzig erzählt er von seinen drei Sklaven, einer Frau und zwei Männern, die er erstanden hatte: Der Frau habe er kochen und putzen beigebracht, zudem diene sie ihm «als Frau» ganz zufriedenstellend. Essen würden die drei nur wenig: Ein bisschen Salz und Brot und ab und zu ein winziges Stück Fisch reiche vollauf. Alltag in den Kolonien, über den man sich auch in der Schweiz nicht sonderlich Gedanken machte.
Kolonialstaat ohne Kolonien
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In Basel, Neuenburg, Lausanne und Zürich haben junge Ethnologinnen, Volkskundler und Historikerinnen in den letzten Jahren Stadtrundgänge erarbeitet, wo sie Geschichten von kolonialen Handelsbeziehungen der jeweiligen Städte umreissen.
Sie erzählen von Topshots der Wissenschaft, die im 19. Jahrhundert dank ihrer kolonialen Kontakte und Expeditionen steile Karrieren machten, von schwarzen Liftboys ohne Namen und Alter, die vor den heimischen Warenhäusern stehen, oder von der Schokolade, die so wundersam zum schweizerischen Kassenschlager wurde.
Rassenideologie tief verwurzelt
In der Forschung und bei diesen Stadtrundgängen tritt deutlich zutage, wie eng die Schweiz mit dem restlichen, kolonialen Europa verflochten war, und wie vollumfänglich sie das Gedankengut des 19. Jahrhunderts teilte.
Dazu gehörte auch der ideologische Rassimus, der die Menschen in wertvolle Rassen einteilt und in solche, die näher beim Tier und damit weniger wertvoll sind. Es war auch für die schweizerischen Zeitgenossen selbstverständlich, dass die weissen Herren an der Spitze der Hierarchie stehen.
Berner Zunft-Wappen als sichtbarer Beleg
Ein sichtbares Zeichen des wissenschaftlichen Rassismus der damaligen Zeit ist heute immer noch in Bern zu sehen: das Wappen der Berner Mohrenzunft.
Diese Darstellung sorgte bei zwei jungen Stadträten für rote Köpfe. Sie kritisierten diese Darstellung und traten eine mediale Debatte los.
Mit dem schwarzen Mann – einem Mohr – ist zwar historisch gesehen tatsächlich ein Heiliger gemeint: Mauritius, ein schwarzhäutiger, ehrenwerter Legionär, der wegen seiner kriegerischen Verdienste um das Christentum im Mittelalter heiliggesprochen wurde.
Doch auf dem Wappen, das erst im späten 19. Jahrhundert gemalt wurde, hat der Künstler nicht einen heldenhaften Legionär gezeichnet, sondern einen Mohren mit wulstigen Lippen und flacher Stirn. Für ihn ein Zeichen für fehlende Hirnsubstanz und niedere Intelligenz.
Damit ist der Künstler den kolonialen, rassistischen Stereotypen seiner Zeit gefolgt und hat aus dem heiligen Mauritius einen «minderwertigen Mohr» gemacht. Und darüber darf heute durchaus gestritten werden.