Bei der Lektüre Ihres Buchs «15 sein – Was Jugendliche heute wirklich denken» gelangt man zum Eindruck, bei den heutigen 15-Jährigen drehe sich das ganze Leben um das Smartphone. Übertreiben Sie bewusst?
Melanie Mühl: Nein, überhaupt nicht. Für eine überwiegende Mehrheit der 13- bis 17-jährigen Teenager ist das Smartphone der Lebensmittelpunkt schlechthin. Bei meinen Recherchen habe ich von Jugendlichen oft den Satz gehört: «Das Smartphone ist mein Leben.»
Pflegen denn die Jugendlichen keine echten Freundschaften mehr?
Doch, auch die Jugendlichen von heute befreunden sich, verlieben sich. Da ist alles beim Alten geblieben. Aber das Smartphone ist das Mittel, mit dem man mit Gleichaltrigen permanent in Kontakt ist. Es geht gerade darum, sich nicht abzuschotten, sondern zu kommunizieren. WhatsApp zum Beispiel ist für viele die Standleitung zu Gleichaltrigen, absolut unverzichtbar und das Normalste der Welt. Schliesslich sind diese Jugendlichen so aufgewachsen.
In Ihrem Buch schreiben Sie, dass Facebook bei den Jugendlichen so gut wie tot sei. Wie ist dies zu erklären?
Auf Facebook sind in der Zwischenzeit alle – auch die Erwachsenen und die Eltern, die ihren Kindern hinterherspionieren wollen. Das hat bei den Jugendlichen zu einer Fluchtbewegung geführt. Vielmehr im Trend sind Plattformen wie Instagram, wo man Bilder und Videos hochladen kann.
Und sich selbst in Pose stürzt?
Die Selbstdarstellung ist – neben der Vernetzung – ein zentrales Element von Instagram und auch von der etwas kreativeren Variante Tumblr. Auf diesen Plattformen herrscht in aller Öffentlichkeit ein permanenter Wettbewerb: Man möchte viele Likes und Freunde, man möchte gut rüberkommen. Meistens geht es um das gute Aussehen, die Fitness und die richtigen Klamotten.
Sie schreiben in Ihrem Buch auch, dass pubertierende Jugendliche grossen Wert darauf legten, als authentisch zu gelten. Wie geht dies mit dieser Selbstvermarktung zusammen?
Der Widerspruch besteht nur vordergründig. Die Selbstdarstellung auf Social Media entspricht ja dem Bild, das Jugendliche von sich selbst aufbauen und das sie von sich transportieren möchten. Wer jedoch überbordet und sich etwas bis zur Unkenntlichkeit stylt, wird von der Gruppe schnell in die Schranken gewiesen – mit virtuellem Liebesentzug und abfälligen Kommentaren. Der soziale Druck auf Social Media ist enorm und wirkt auf die jungen Menschen sehr disziplinierend. Die Angst, abgestraft zu werden, schwingt stets mit.
Und auch wer nicht den gängigen Vorstellungen von Schönheit und Coolness entspricht, hat auf Social Media von Anbeginn einen schweren Stand …
Es ist oft gnadenlos, wie schnell jemand stigmatisiert wird. Generell ist es so, dass hübsche, originelle und extravertierte Jugendliche von Social Media profitieren, während weniger attraktive und eher ruhige Charaktere schnell ins Abseits geraten. Es ist brutal: Jedermann kann an der Anzahl Likes ablesen, wer ein Aussenseiter ist.
Geben die Jugendlichen auch schlicht zu viel von sich Preis?
Jugendlichen in diesem Alter ist die Privatsphäre sehr wichtig. Das zeigt sich etwa daran, dass die Intimität des eigenen Zimmers zu Hause einen hohen Wert darstellt. Man mag es nicht, wenn etwa die Eltern darin herumschnüffeln. Für die Pubertierenden verschwimmen jedoch die Grenzen zwischen virtueller und realer Welt. Man sieht beides als Einheit. Und so wenig Jugendliche allen Zutritt zum eigenen Zimmer gewähren, so sehr achten sie im Internet darauf, private Inhalte nur mit Menschen zu teilen, denen sie vertrauen.
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Sind 15-Jährige dieser Aufgabe gewachsen?
Sicher nicht immer. Wissenschaftliche Studien besagen, dass jeder und jede dritte Jugendliche das Opfer von Cybermobbing wird. Oft haben die Betroffenen vorher im Internet zu viel von sich gezeigt. Für die Jugendlichen ist es deshalb von zentraler Bedeutung, von den Erwachsenen kompetent angeleitet zu werden. Da sind die Eltern und die Schule gefordert.
Sind diese in der Lage, den Jugendlichen diesbezüglich zur Seite zu stehen?
Nein, längstens nicht immer. Mein Eindruck ist, dass viele Erwachsenen Youtube, WhatsApp, Instagram, Tumblr etc. oft gar nicht richtig kennen und nicht wissen, was die Jugendlichen auf diesen Seiten tun. Ich weiss nicht, wie unter diesen Voraussetzungen mit den Jugendlichen ein Dialog auf Augenhöhe stattfinden kann.