Eine Felswand, mächtig wie eine Theaterkulisse. Darunter ein Höhleneingang. Wasser sprudelt in mehreren Wasserfällen aus dem Höhleneingang. Die Beatus-Höhlen oberhalb des Thunersees faszinieren mich. Sie sind ein Naturschauspiel. Und ein spiritueller Ort.
Der heilige Drachenbändiger
Beim Höhleneingang wird das Grab des heiligen Beatus gezeigt. Nur: Wer war dieser heilige Beatus? Beat ist mein zweiter Vorname. Der Legende nach hat Beatus in der Gegend das Christentum verkündet.
Er soll einen gefährlichen Drachen aus der Höhle vertrieben haben. Mit Getöse sei der Lindwurm in den See gefahren und ward nicht mehr gesehen. Beatus wird fortan als Heiliger verehrt, seine Klause wird zum Wallfahrtsort.
Bei den Dreharbeiten erfahre ich, dass im Zug der Reformation im 16. Jahrhundert der Pilgerweg geschlossen und die Höhle kurzerhand zugemauert wurde. Heilige und Wallfahrten waren den Reformatoren suspekt.
Und gleichwohl wird der Heilige Beatus bis heute verehrt. In Lungern im Kanton Obwalden bauen ihm die Gläubigen eine eigene Kapelle auf katholischem Gebiet. Der Volksglaube ist resistent.
Die Geschichte der Helvetier
Bei den Beatus-Höhlen führt der Pilgerweg nach Santiago de Compostela vorbei. Ich folge diesem alten spirituellen Weg und komme in die Gegend zwischen Thun und Fribourg.
In der Kirche von Amsoldingen fällt mir auf, wie sich religiöse Traditionen überlagern. Die wuchtige reformierte Kirche war einst ein Kloster. Die Säulen in der Krypta wiederum stammen aus einem römischen Heiligtum. Die Kirche steht mutmasslich auf einem alten Kultplatz, der durch einen Kirchenbau christianisiert wurde.
Über die Religion der Kelten, unserer Vorfahren, gibt es keine schriftlichen Zeugnisse. Dafür jede Menge Spekulationen. Die Helvetier waren ein keltischer Stamm. «Confoederatio Helvetica»: Auf dem Bundeshaus steht’s, auf jedem Fünffrankenstück auch.
Die Priester der Kelten heissen Druiden. Sie gelten als Wissende, in alltäglichen und in religiösen Dingen. Und sie sind mit der Natur vertraut. Die Natur ist im Schwarzenburgerland sehr präsent. Salamander, Frösche und Raubvögel sehe ich, in Hügellandschaften und Märchenwälder tauche ich ein.
Die Gemeinschaft der Täufer
«Ja, ja, die Mennos sind völlig in Ordnung», sagt mir der Verkäufer im Bierladen in Tramelan. Mit Mennos meint er die Mennoniten, auch Täufer oder Wiedertäufer genannt. Ihrer Gemeinschaft begegne ich im Berner Jura.
Die Mennoniten sind eine Freikirche. Einst sassen sie mit den Reformatoren in Zürich im gleichen Boot. Dann kommt es zum Bruch. Die Täufer betonen die Freiheit, die eigene Glaubensentscheidung. Eine Religion, die den Menschen aufgezwungen wird, ist für sie ein No-Go. Darum lassen sie sich als Erwachsene und nicht als Kinder taufen.
Höfe in der Höhe
Im Jura, im damaligen Gebiet des Fürstbischofs von Basel, finden die Täufer Zuflucht vor Verfolgung. Im Volk hält sich hartnäckig die Meinung, die Täufer hätten in der Vergangenheit nur in Gebieten oberhalb von 1000 Metern über Meer siedeln dürfen. Dies ist ein Mythos, wie sich bei meinen Nachforschungen herausstellt.
Die Täufer übernehmen Höfe auf Alpen, die zuvor nur im Sommer bewirtschaftet wurden. Sie leben dort das ganze Jahr über und machen das Land urbar. Verboten wird ihnen, sich in den Dörfern niederzulassen und dort zu missionieren.
Heute sind die Täufer im Jura angekommen. Ich habe Täuferinnen und Täufer getroffen, die integriert sind, ihre Religion selbstverständlich leben und offen darüber sprechen.
Kraftorte und Kirchen
Auf meinen spirituellen Wegen treffe ich religiöse Menschen, deren Engagement mich beeindruckt. Fasziniert verweile ich an Kraftorten in der Natur und in Kirchen.
Ich staune, wie wichtig Religion und Spiritualität bei uns in der Geschichte und bis heute sind. Wege können ja nicht spirituell sein. Für mich aber bedeutet Spirituell-Sein, dass ich ganz bei mir bin. Wach, präsent und offen. Etwa beim Gehen im Frühtau.