Ein Foto von einem sonnigen Tag am Strand, der gar nicht so heiter ist? Ein Bild mit einer Freundin, die man eigentlich gar nicht so mag? Selten bilden die vielen Fotos, Posts und Bilder, die wir auf Social-Media-Plattformen hochladen, die Realität ab.
Genau damit spielt die US-amerikanische Performance-Künstlerin Amalia Ulman. Sie hat während drei Monaten auf ihrem Instagram- und Facebook-Profil ihr Leben komplett inszeniert und vorgetäuscht. Für sie ist es eine künstlerische Performance. Für die Follower eine wahre Geschichte.
Ein Leben nach Skript
Die Performance war bis ins Detail geplant: Für jeden Monat schrieb sie ein Skript. Ulman hatte monatelang Profile von anderen Bloggerinnen beobachtet: «Ich musste wissen, wie sie sich ausdrücken. In welcher Sub-Kultur sie sich befinden. Wie sie sich auf den Bildern darstellen.» Dann begann die Performerin, ihr Online-Leben immer mehr zu inszenieren.
In einer ersten Phase stellte sie das brave, blonde, hübsche, glücklich verliebte und sorgenlose Mädchen dar. Süss lächelt sie in die Kamera. Alles ist rosa, hell, pastellfarbig. Weg von der Provinz, sagen die Fotos, ab nach Los Angeles, in die Stadt ohne Grenzen. Aber das Mädchen will mehr. Sie trennt sich von ihrem Freund, sehnt sich nach dem Abenteuer. Sie lässt das Korsett des perfekten Lebens fallen. Posiert plötzlich freizügig und aufreizend.
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Vom Landei zum Luder
Sie versucht sich in der Prostitution. Kleinigkeiten, die man als Follower nur durch Hinweise in der Bildunterschrift erfährt: «1k-1nuit» – «Tausend in einer Nacht». Das Foto zeigt einen Fächer von Geldscheinen. «Less nervous today» – «Heute weniger aufgeregt» steht unter dem Bild, auf dem sie sich mit einem Dessous präsentiert.
Ohne Drogen keine Party: Sie beginnt zu koksen, treibt das Leben eines «Bad-Girls» ans Limit. «Warte mal, wirst du deine Brüste operieren???!!!», fragt ein Follower. Ja, sie wird. Ein Spiegel-Selfie im grünen Gewand verkündet die Brust-OP. Die Regeneration dokumentiert sie auf Facebook im Tagebuch-Stil.
Am Tiefpunkt
Vier Wochen später bricht sie vor der Kamera zusammen. Sie weint, schluchzt und verschwindet für zwei Wochen von der Bildfläche. Ihre Figur ist am Tiefpunkt angelangt. «Die Leute lieben es, andere Menschen durch schlechte Zeiten gehen sehen», sagt die 26-jährige Künstlerin.Sie wolle mit ihrer Performance nicht kritisieren. Sie faszinieren vielmehr die Rollen, die wir wählen um uns darzustellen, die Mittel, die wir dafür einsetzen. Und die Stereotypen der Selbstdarstellung.
Sie arbeitet mit Wiederholungen, damit sich die Follower mit der Figur und der Geschichte immer mehr verbunden fühlen. Tatsächlich haben es ausser ihren engen Freunden alle geglaubt. Während der dreimonatigen Performance folgten ihr 75'000 Leute. Fragt man sie, ob sie sich dabei fühlte, als würde sie jemanden veräppeln, lehnt sie ab: «Nein, alles war eine Performance. Es ist klar, dass das Internet nicht echt ist.»
Zwei Teile, ein Ich
Rund 300 Millionen Nutzer zählte Instagram im vergangen Jahr. Für viele ein Vehikel der Selbstdarstellung. Doch woher kommt dieses Bedürfnis, sich dauernd präsentieren zu wollen? «In Zeiten, in denen die Gesellschaft immer komplexer wird, bieten solche Plattformen die Möglichkeit der Kontrolle über das eigene Ich», sagt Sabina Misoch, Jugend- und Alterssoziologin.
Man habe alles selbst im Griff und könne die Selbstdarstellung steuern. «Es kann auch einen therapeutischer Effekt haben, wenn ein User mit einem Video sein Trauma verarbeitet.» Eine Studie habe gezeigt, dass Jugendliche keinen Unterschied zwischen On- und Offline-Leben machen. «Es sind zwei Puzzleteile, die dann zusammen das Leben bilden.»