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Ein schwules Paar umarmt sich an der diesjährigen Zurich Pride.
Legende: Ein Paar an der diesjährigen Zurich Pride. Keystone

Gesellschaft & Religion «Unsere Gesellschaft ist nur vermeintlich aufgeschlossen»

Was bedeutet das Massaker im Club «Pulse» in Orlando für die LGBT-Community in der Schweiz? Ein Gespräch mit Bastian Baumann, Geschäftsführer der Schwulenorganisation Pink Cross.

Bastian Baumann, Sie haben via Twitter von den Anschlägen in Orlando erfahren. Wie haben Sie darauf reagiert?

Ich war sehr bestürzt. Der Anlass erscheint uns von «Pink Cross» sehr tragisch – und nicht nur uns: Ich erlebe, dass Schwule und Lesben in der Schweiz sehr schockiert sind. Wir erhalten aktuell sehr viele E-Mails und Facebook-Nachrichten von Personen, die ihre Solidarität mit der LGBT-Szene ausdrücken und sagen, wie traurig sie über die Vorfälle sind.

Bastian Baumann

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Legende: PinkCross

Bastian Baumann ist PR-Berater, Aktivist und Geschäftsführer von «Pink Cross». Der Verein setzt sich seit 1993 als Dachverband für die Anliegen von Schwulen, Lesben, Bisexuellen und Transgender (kurz LGBT) in der Schweiz ein.

Das Massaker in den USA mit 50 Toten ist in seiner Dimension einzigartig – lässt sich aber in eine Reihe von homophob motivierten Gewalttaten eingliedern. Wie ist die Situation für Schwule und Lesben in der Schweiz: Sind sie im Allgemeinen betroffen von homophober Gewalt?

Ja, von Gewalt betroffen sind wir leider auch in der Schweiz. Von offizieller Seite erfasst die Schweiz Gewalttaten mit homo- oder transphoben Motiven nicht. Das heisst es gibt in dieser Hinsicht eine grosse Dunkelziffer. Pink Cross weiss von Vorfällen, und erfährt in Umfragen immer wieder, dass Schwule und Lesben Gewalt erleiden. Diese Aussagen sind der einzige Messwert, den wir haben. Es ist daher ein diffuses Gefühl, dass sich schwer in Zahlen messen lässt – aber die Fakten, die bei uns im Büro eintreffen, sprechen klar dafür, dass wir hier Handlungsbedarf haben.

Gewalt gegen Schwule und Lesben in der Schweiz: Das erstaunt. Immerhin sind die Gesetze in den meisten Ländern verbessert worden und die Bevölkerung scheint toleranter zu sein. Täuscht dieser Eindruck?

Das hängt davon ab, wo man lebt und wo man sich bewegt. Gerade dieses Wochenende fand in Zürich die «Zurich Pride» statt. Bei Umfragen, die wir dort machten, meldeten sich rund 100 Personen, die in der Vergangenheit tätlich angegriffen, angespuckt oder teilweise Opfer von harter Gewalt wurden (laut der Stadtpolizei Zürich und der Organisation der Zurich Pride kam es während des Festivals selbst zu keinen Vorfällen, Anm. der Red.). Das hängt auch mit der rechtlichen Lage zusammen. Die Schweiz ist diesbezüglich kein Musterknabe: Wir sind im Europavergleich bloss auf Platz 23, was die Lesben- und Schwulenrechte anbelangt (siehe Textbox «LGBT-Rechte in der Schweiz»).

LGBT-Rechte in der Schweiz

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Schwule und Lesben öffentlich zu verunglimpfen soll in der Schweiz durch die Erweiterung der Antirassismus-Strafnorm strafbar werden. Trotzdem erreicht die Schweiz im europaweiten Ranking zur Gleichstellung von LGBT-Personen bloss Platz 23. Mängel bestehen demnach vor allem im Bezug auf Gender-Identität, Familienrechte und Schutz vor Übergriffen.

Welche Tendenzen in Bezug auf die Gleichstellung von LGBT-Personen beobachten Sie in Europa?

Wir beobachten, dass Regierungen die rechte Tendenzen aufweisen und sich teilweise auch vor einem religiösen Hintergrund legitimieren, das Leben von Schwulen und Lesben erschweren. Es gab eine Umfrage unter mehr als 90'000 Schwulen und Lesben in Europa: 26 Prozent haben gesagt, dass sie Opfer von Gewalt wurden, 75 Prozent gaben an, dass sie sich nicht trauen, Hand in Hand mit ihrem Partner oder ihrer Partnerin durch die Stadt zu laufen. In der Türkei musste eine LGBT-Organisation ihre Arbeit einstellen, weil sie auf die Liste der möglichen Angriffsziele der IS-Terrorzellen gesetzt wurde. Schwule und Lesben fliehen zum Teil aus ihren Heimatländern, weil eine Regierung herrscht, die dieses homophobe Klima fördert oder teilweise sogar explizit zu Gewalt aufruft.

Um zurück zu kommen zum Anschlag im Schwulenclub «Pulse» in Orlando: Ist dieses Massaker ein Warnzeichen, dass unsere Gesellschaft schwulenfeindlicher wird?

Ich habe heute Morgen auf Facebook sehr viele Kommentare gelesen, die diesen Anschlag befürwortet haben, und ausgesagt haben, das geschehe den Schwulen und Lesben Recht. Diese Äusserungen passieren hier in der Schweiz. Ich denke, wir müssen wachsam bleiben und dürfen uns nicht blenden lassen von einer vermeintlich aufgeschlossenen Gesellschaft. Ich will mich aber nicht von Angst leiten lassen. Es ist wichtig, dass wir schlicht aufklären über das Thema Homo- und Transphobie – und mit Stolz weiterarbeiten.

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