Vor 100 Jahren war die Antarktis der letzte unbekannte Kontinent, ein weisser Fleck auf der Weltkarte. Der Südpol zog Abenteurer und Forscher magisch an, sie machten sich zu lebensgefährlichen Expeditionen auf. So auch der junge Schweizer Xavier Mertz. Er wusste von den bitteren Lebensbedingungen im ewigen Eis, dennoch wagte er sich 1912 als erster Schweizer und Mitglied der australischen Expedition in diese Hölle. – Und er kehrte nicht mehr zurück.
Geblieben sind von der wagemutigen Reise einzig sein Tagebuch und über 100 Fotografien von Mertz und seinem Kompagnon, dem Fotografen Frank Hurley. Der Autor Jost Auf der Maur hat die Quellen zu einer Reportage verarbeitet, die nun als Buch erscheinen. Und das Naturhistorische Museum Basel zeigt die Antarktis-Fotografien in einer Ausstellung. Im Interview spricht Auf der Maur über die Faszination am Abenteuer von Xaver Mertz.
Sie sind per Zufall auf die Geschichte und das Tagebuch von Xavier Mertz gestossen. Was hat Sie da gepackt, was hat Sie in diesem Moment fasziniert?
Jost Auf der Maur: Ich habe das Tagebuch im März dieses Jahres im Staatsarchiv Basel-Stadt entdeckt und bin innerlich an die Decke gesprungen vor Freude. Ein Tagebuch eines Vergessenen, der als erster Schweizer einen Fuss auf die Antarktis gesetzt und dabei sein Leben verloren hat. Es war ein Fundstück, das mich als alten Journalisten sofort jung werden liess.
Mertz war Jurist, sehr sportlich und hat es geschafft, Teil einer englischsprachigen Forschungsgruppe zu werden. Dort in der Antarktis war er dann für die Schlittenhunde verantwortlich. In seinem Tagebuch beschreibt er eindrücklich die Strapazen, wie das Eis alles verschlingt, einen Kameraden und den gesamten Proviant mit hineinzieht, und wie es dann zur Katastrophe kam.
Nach einem Jahr in der Antarktis schwärmten kleine Expeditionsgruppen von drei Mann mit Schlitten und Hunden aus. Xavier Mertz, sein Freund Belgrave Ninnis und der Expeditionsleiter Douglas Mawson entfernten sich in östlicher Richtung von der Basisstation und nach 500 Kilometern kam es tatsächlich zur Katastrophe. Belgrave Ninnis stürzte in eine Gletscherspalte samt Hunden und Schlitten und starb dabei. Er verschwand und man sah nichts mehr von ihm. Und leider ging mit ihm auch der fast der ganze Proviant verloren.
Dennoch schrieb Mertz fast bis zu seinem Tod weiter Tagebuch.
Er und der Expeditionsleiter wussten sofort: Jetzt müssen wir zurück, wir haben kaum mehr zu Essen. Sie kehrten um, und in der ganzen Zeit, in der Mertz in der Antarktis war, schrieb er Tagebuch, bis sieben Tage vor seinem Tod.
Wie ist das Tagebuch aus der Antarktis nach Basel ins Archiv gekommen?
Ein Jahr nach diesem Unglück kehrte auch Mawson, der Expeditionsleiter, mit den anderen Überlebenden zurück in die Zivilisation. Er machte Vortragsreisen in Europa und kam auch mit dem Tagebuch und etwa 100 Fotografien nach Basel und übergab es Mertz‘ Eltern. Von da an ist die Verfolgung des Tagebuchs schwierig. Es ist verschollen, die Abschrift davon befindet sich im Staatsarchiv Basel-Stadt. Sie wurde Ende der 60er-Jahre übergeben, als das letzte Mitglied der Familie starb.
Wenn ich aus der sicheren Distanz auf die goldene Ära der Polarforschung blicke, so ist Xavier Mertz ein faszinierender Mensch und ein Abenteurer. Ist er auch ein Held?
Er ist wahrscheinlich kein Held, und wenn, dann ein tragischer. Er hat sich freiwillig in diese Gefahr begeben. Er ist für mich ein typischer Vertreter eines jungen Mannes aus gutem Haus und mit guter Ausbildung zu Beginn des 20. Jahrhunderts vor dem Ersten Weltkrieg. Man suchte seine Grenzen, die Lebensperspektiven waren unendlich viel breiter als nach und während des Ersten und Zweiten Weltkriegs. Er suchte seine Grenzen und fand sie auch. Ich glaube, die Freiwilligkeit schliesst das Heldentum eigentlich aus.