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Eine Frau sitzt auf dem Bett in einem Zimmer in Japan.
Legende: Der Weg aus der Isolation zurück in die Gesellschaft ist für einen Hikikomori weit und beschwerlich (Symbolbild). photocase/rowan

Gesellschaft & Religion Wenn das eigene Zimmer zum Gefängnis wird

Das Wort «Hikikomori» beschreibt Menschen, die ihr Zimmer länger als sechs Monate nicht verlassen. Über 540'000 gibt es davon in Japan. Was sind das für Menschen, die sich radikal zurückziehen? Einen davon hat Martin Fritz in Tokio getroffen.

Jeans, T-Shirt, kurzes Haar, Brille, etwas dünn und unscheinbar. Man sieht es Yuto Sato nicht an, dass er fast drei Jahre lang ein Hikikomori war. Wörtlich bedeutet hikikomori «sich einschliessen».

Der Begriff steht sowohl für den Rückzug aus der Gesellschaft, als auch für die Betroffenen selbst. Erst seit wenigen Monaten lebt Yuto wieder unter Menschen und kann von seinem Leiden erzählen.

Eine Aufnahme von Tokio aus der Luft.
Legende: Mitten unter Menschen – und doch allein: Auffallend viele Menschen in Tokio leben ohne Kontakt zur Aussenwelt. flickr/Fran Simó

Über eine halbe Million Betroffene

«Wenn meine Eltern um Mitternacht ins Bett gingen, bin ich aus meinem Zimmer herausgekommen und habe mir in der Küche Essen gemacht», berichtet er im Büro der Selbsthilfeorganisation «Hikikomori Familien Japan» (KHJ). In seinem Zimmer habe er ständig im Internet gesurft, Nachrichten verfolgt und Fussballspiele geschaut.

Yuto Sato ist einer von über einer halben Million Hikikomori in Japan. Diese Menschen haben ihr Zimmer in ihrem elterlichen Haus oder ihrer Wohnung länger als sechs Monate nicht verlassen und mit niemandem gesprochen. Knapp zwei Drittel der Hikikomori sind männlich und sondern sich im Alter zwischen 15 und 24 Jahren ab.

Das Selbstvertrauen ging verloren

Yuko Sato fiel es nach dem Schulabschluss schwer, sich in die Arbeitswelt zu integrieren. Mehrmals wechselte er den Job, dann wurde er arbeitslos. Die Eltern drängten ihn zum Arbeiten. Aber er schaffte es nicht mehr. «Ich wusste, dass ich aktiv werden musste, aber allmählich habe ich mein Selbstvertrauen verloren», erzählt der heute 30-Jährige.

«Es gab keinen Treibstoff mehr für meinen Motor, keine Motivation zum Arbeiten», berichtet Sato weiter. Er sei immer trauriger geworden. Irgendwann wollte er seine Eltern weder mehr sprechen noch sie treffen. «Sie wurden der Deckel zu dem Kasten, in dem ich mich befand – und so wurde mein Zimmer zum Gefängnis.»

Persönliche werden zu gesellschaftlichen Problemen

Die Ursachen für einen solchen Rückzug sind unterschiedlich. In einigen Fällen sind es Depressionen und psychische Probleme. In anderen Fällen handelt es sich um eine Folge von sozialer Ausgrenzung. In Japan wird gruppenkonformes Verhalten gefordert. Doch nicht jedem gelingt die notwendige Anpassung.

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Das Problem für Japan: Der Rückzug dauert bei über einem Drittel der Fälle schon länger als sieben Jahre. Die Hikikomori werden immer älter. Zehntausende seien schon über 40 Jahre alt, berichtet Otochika Ichikawa von der Selbsthilfeorganisation Rakunokai Lila. Das hat auch Folgen für die Angehörigen.

«Die Eltern von solchen alten Hikikomori sind oft schon Rentner und krank vor Sorge, wer sich um ihre Kinder kümmern wird, wenn sie tot sind», erzählt der 70-jährige Ichikawa. Viele Hikikomori seien nicht in der Lage, sich alleine zu versorgen, weil sie mit Dritten nicht in Kontakt treten könnten.

Traum von einer normalen Arbeit

Soweit ist es bei Yuto Sato zum Glück nicht gekommen. Er schrieb seinen Eltern nach vielen Monaten der Isolation viele Briefe und Mails, bis sie seine Forderung nach einer eigenen Wohnung erfüllten. Vor einigen Monaten ist er zuhause ausgezogen und macht nun die Büroarbeit der Selbstorganisation KHJ.

Sein Traum ist es, wieder in einer normalen Firma zu arbeiten. Eine konkrete Idee habe er noch nicht. «Wenn ich zu viel denke, bekomme ich Angst», gesteht er. Ihm fehlten auch noch die Kraft und das Selbstvertrauen für einen Arbeitstag von acht Stunden.

Das zeigt: Der Weg aus der Isolation zurück in die Gesellschaft ist für einen Hikikomori weit und beschwerlich. Aber Sato hat schon grosse Fortschritte gemacht. Er übt schon, wie man sich in einem Vorstellungsgespräch richtig benimmt.

Sendung: Radio SRF 2 Kultur, Kultur kompakt, 17. Oktober 2016, 17.20 Uhr

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