Unbegleitete minderjährige Asylsuchende («UMA») sind Kinder unter 18 Jahren, die sich ohne Eltern ausserhalb ihres Herkunftslandes aufhalten. Von Januar 2014 bis Mai 2015 ersuchten gemäss dem Staatssekretariat für Migration 1084 Flüchtlingskinder um Aufnahme in der Schweiz. Die meisten stammen aus Eritrea (651), Afghanistan (104), Somalia (77) und Syrien (60). Über 80 Prozent von ihnen sind zwischen 15 und 18 Jahren alt und männlich.
Gemäss internationalen Konventionen und nationalen Gesetzen haben UMA Anspruch auf den Schutz des Staates, in dem sie sich aufhalten. Das Schweizer Asylgesetz schreibt zudem vor, Asylgesuche von unbegleiteten Minderjährigen prioritär zu behandeln.
Georgiana Ursprung, welche Betreuung brauchen UMA im Vergleich zu erwachsenen Asylsuchenden?
Die UMA wünschen sich eine jugendgerechte Betreuung, die dem Fakt Rechnung trägt, dass sie sich ohne Eltern in einem fremden Land befinden. Konkret heisst das: Sie brauchen sozialpädagogische Begleitung, damit sie jugendgerechte Ansprechspersonen haben und Beistandschaft.
Die jungen Asylsuchenden werden je nach Kanton in speziell jugendgerechten Institutionen untergebracht. Wie wichtig ist die Wohnsituation?
Sie ist nach der Einschätzung der UMA sehr wichtig für ihr Wohlbefinden. Gerade in jungen Jahren kann der mehrmonatige Aufenthalt in nicht jugendgerechten Zentren sich sehr negativ auswirken und sich etwa in Form von (zusätzlicher) Traumatisierung, Ohnmachtsgefühl oder sozialem Rückzug äussern. UMA bei Speak out! möchten mit Altersgenossen zusammenzuleben und wünschen sich eine Infrastruktur, die ihnen Privatsphäre und einen Platz für Hausaufgaben bietet. Das ist nicht viel anders, als was genauso für Schweizer oder sonstige Jugendliche angemessen wäre.
Über 80 Prozent der UMA sind zwischen 15 und 18 Jahren alt und männlich. Was sind die Herausforderungen für die jungen Männer?
Generell stehen sie vor den gleichen Schwierigkeiten wie heranwachsende Schweizer auch. Zudem sind sie oft mit den Rollenerwartungen ihrer Herkunftsgemeinschaft hier in der Schweiz oder ihrer Familie konfrontiert – das ist nicht immer einfach. Manche erzählen von den an sie gestellten Erwartungen, möglichst schnell Geld an ihre Familien zu Hause zu schicken oder eine gute Ausbildung anzutreten.
Die Funktion des Versorgers scheint dominanter zu sein als dies bei den weiblichen UMA der Fall ist. Dies kann belastend sein. Aber die Situation ist nicht für alle männlichen UMA gleich.
Von den 1084 Asylsuchenden, die seit Januar 2014 in die Schweiz gekommen sind, sind 189 weiblich. Welche Erfahrungen machen Sie mit den jungen Frauen?
Generell erlebe ich die weiblichen Teilnehmerinnen bei Speak out! als besonders engagiert, interessiert und überdurchschnittlich selbstbewusst. Sie sind meist die ersten, die bereit sind, vor einem grossen Publikum oder Personen in höheren Funktionen zu sprechen. Möglicherweise ist diese Charaktereigenschaft bei den weiblichen UMA besonders entwickelt, um es überhaupt in die Schweiz zu schaffen und sich hier durchschlagen zu können.
Welche Perspektiven haben UMA in der Schweiz?
Das hängt vom Asylentscheid der Behörden ab. Bei einem positiven Entscheid oder einer vorläufigen Aufnahme haben sie je nach Wohnort die Möglichkeit, einen Schulabschluss zu absolvieren und so den Eintritt in die Berufswelt zu schaffen. Deshalb wünschen sich die UMA, möglichst schnell in die Schule gehen oder arbeiten zu können. Es ist ihnen sehr bewusst, wie wichtig dies für ihre Zukunft ist. Hürden, wie etwa die lange Wartezeit auf Entscheid,e versperren ihnen oft diesen Weg. Das ist für viele psychisch sehr belastend.
Was geschieht mit UMA, die das 18. Lebensjahr erreichen?
Für viele UMA birgt der 18. Geburtstag Unsicherheit und Zukunftsängste mit sich. Sie müssen alle ihre bisherige Unterkunft verlassen, werden an einem neuen Ort untergebracht und finden neue Wohnverhältnisse vor. Haben Jugendliche bereits einen negativen Asylentscheid erhalten oder erwarten einen solchen kurz nach dem 18. Geburtstag, kommen zusätzliche Ängste auf: Kehren sie in ihr Heimatland zurück? Wenn ja, was erwartet sie dort? Gehen sie an einen anderen Ort? Tauchen sie in der Schweiz unter? Sie sind bei diesen Fragen oft auf sich alleine gestellt und dies in einem doch immer noch sehr jungen Alter.
Wie könnte die Situation verbessert werden?
Der Bruch, der die Volljährigkeit mit sich bringt und den Kinderschutz wegfallen lässt, ist nach Erachten der UMA massiv. Sie schlagen in der Charta (siehe Textbox) vor, dass dieser Übergang nicht so abrupt, sondern in einer teilweisen Begleitung über die Volljährigkeit hinaus erfolgen sollte. Dies ist übrigens auch die Handhabung bei vielen Schweizer Jugendlichen, die auf die eine oder andere Form institutionell betreut werden.