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Gesellschaft & Religion Wie sieht ein Theologe den Film «Noah»?

«Noah», die biblische Geschichte der Sintflut, läuft im Kino. Gross, epochal – und bibeltreu? Konrad Schmid, Theologe an der Uni Zürich, hat sich den Film angesehen. Sein Urteil: Die Filmemacher haben die Geschichte frei und kreativ interpretiert. Und das gar nicht schlecht.

Wie ist Ihr erster Eindruck, Überwältigungskino?

Konrad Schmid: Es ist grosses, episches Kino, das eine der ältesten und bekanntesten Geschichten der Welt neu erzählt. Ich war etwas skeptisch, aber ich bin positiv überrascht.

Von der inhaltlichen Umsetzung oder von der visuellen Gestaltung?

Das Visuelle ist natürlich ein Wert für sich, aber mich hat auch die inhaltliche Prägung des Films beeindruckt. Die Erzählung hält sich zwar nicht an die biblische Vorlage, ist aber gut überlegt, differenziert und vielschichtig.

«Noah» ist letztlich ein apokalyptischer Film. Er thematisiert den Weltuntergang durch die Sintflut und die darauf folgende neue Schöpfung. Bemerkenswert ist die Kritik des Films an der Geisteshaltung Noahs, der sich diese neue Schöpfung völlig anders vorstellt: Noah träumt von einer Schöpfung ohne Menschen, nur Tiere sollen dauerhaft in ihr weiterleben. Der Film lässt keinen Zweifel daran, dass Noah in seiner Überzeugung irrt, dass das Gottes Wille sei. Gott selber spricht nie zu Noah, Noah muss selber erschliessen, was Gott von ihm will.

Wo liegen die zentralen Unterschiede zwischen dem Bibeltext und der Filmerzählung?

Konrad Schmid

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Konrad Schmid lehrt an der Universität Zürich Theologie, alttestamentliche Wissenschaft und frühjüdische Religionsgeschichte. Eines seiner Forschungsgebiete ist die Literaturgeschichte der Bibel.

Die Bibel erzählt eine Geschichte über Gott, und der Film erzählt eine Geschichte über Noah. In der Bibel gewinnt Noah kaum Kontur. Er ist ein Werkzeug Gottes, und die Bibel erzählt davon, wie Gott ein anderer wird. Gott lässt sich vor der Flut durch die Bosheit der Menschen reizen und will sie von der Erde vertilgen. Nach der Flut stellt Gott fest, dass die Menschen genau gleich schlecht wie zuvor sind, aber er wandelt sich: Er wird keine Sintflut mehr über die Erde bringen – trotz der Bosheit der Menschen. Das ist die biblische Geschichte. Im Film ist es hingegen Noah, der sich von einem Überzeugungstäter zum Retter der neuen Menschheit wandelt.

Dennoch wirkt Noah wie ein Fundamentalist.

Die Filmfigur Noah, gespielt von Russel Crowe, hat in der Tat fundamentalistische Züge. Aber Noah bewegt sich. Er ist kein felsenfester Fundamentalist, sondern lässt sich am Ende des Films von der Evidenz des erwachenden Lebens umstimmen.

Im Bibeltext der Genesis macht Gott einen – mit Verlaub – wankelmütigen Eindruck: Zuerst schafft er Mensch und Tier, dann bereut er es und will sie wieder zerstören. Und wieder überlegt er es sich anders und rettet Noahs Familie und die Tiere vor der Sintflut.

Das Gottesbild der biblischen Erzählung ist tatsächlich komplex, das hat aber mit ihren religionsgeschichtlichen Hintergründen zu tun: Die Flutgeschichte stammt ursprünglich aus dem altorientalischen Kulturbereich, sie ist aus dem Gilgamesch-Epos bekannt, und dort sind mehrere Götter als Akteure beteiligt. Und in der monotheistischen Bibel müssen dann all diese Funktionen auf einen Gott konzentriert werden. Der Gott, der die Sintflut beschliesst, und der Gott, der einen Sintfluthelden und seine Familie rettet: In der Bibel werden beide zusammen gedacht. Das ergibt ein sehr spannungsvolles Gottesbild.

Natürlich ist das ein beweglicher Gott, man kann sogar sagen ein wankelmütiger Gott. Es gibt eben in der Bibel noch nicht diesen festgefügten Gottesbegriff, den wir vor allem aus der griechischen Tradition kennen. Sondern die Bibel erklärt im Rahmen einer Erzählung, wie Gott zu dem geworden ist, der er am Schluss ist.

In der Genesis wird die Arche nach ganz präzisen Massangaben gebaut. Haben sich die Ausstatter des Films an die Angaben gehalten?

Porträtaufnahme
Legende: Nach Auffassung des Theologen Konrad Schmid faszinieren biblische Stoffe seit jeher. zvg

Hier berühren sich der Film und die Bibel: Die Arche ist so etwas wie ein sakraler Raum. Ein Sakralbau muss nach ganz genau bestimmten Massen gebaut sein, und der Film nimmt die Angaben aus der Bibel genau auf. Es ist nicht einfach ein Menschenwerk, sondern immer zugleich Gotteswerk. Und übrigens: In der Bibel ist das hebräische Wort für Arche genau dasselbe wie für das Bastkörbchen Mose im Nil: So wie die Arche die Menschheit rettet, rettet das Körbchen Mose vor dem Tod.

«Noah» ist eine von zahlreichen Kinoproduktionen, die uns bevorstehen: «Son of God», «Exodus» sind angekündigt, die Geschichten von Pontius Pilatus sowie Kain und Abel soll demnächst verfilmt werden. Was macht diese Stoffe fürs Kino so attraktiv?

Ich glaube, dass die biblischen Stoffe die abend- und morgenländische Menschheit sehr stark geprägt haben. Das lässt sich auch an den Auflagehöhen ablesen: Seit es den Buchdruck gibt, sind etwa zweieinhalb Milliarden Exemplare der Bibel gedruckt worden. Es sind diese paradigmatischen Stoffe, die die Menschheit seit jeher faszinieren.

Andererseits nimmt das Bibelwissen bei der jüngeren Generation rasant ab. Ersetzt das Kino die Bibellektüre?

Ein Ersatz ist es für mich nicht, aber eine legitime Ergänzung. Alle, die diesem Film ankreiden, er folge nicht der biblischen Vorlage, empfehle ich, die Bibel zu lesen. Die Bibel bietet eine eindrückliche Erzählung, in der Tat. Aber Adaptionen wie die vorliegende sind künstlerisch wie auch theologisch dann besonders wertvoll, wenn sie die Bibel nicht einfach nacherzählen. Dafür ist die Bibel selbst da.

Es gibt sowohl im Judentum wie im Christentum die etablierte Tradition, dass man die Bibel nicht einfach nur rezitiert und auswendig lernt, sondern sie adaptiert, interpretiert, dass man über ihre Texte nachdenkt, und genau das macht dieser Noah-Film.

Also durchaus Nachhilfeunterricht?

Genau. Aber auch für Bibelkenner bietet «Noah» Überraschungen. Natürlich folgt der Film nicht einfach Genesis 6-9. Vieles ist auch der cineastischen Dramaturgie geschuldet. Bibelfesten Zuschauern wird zum Beispiel das Motiv mit den Wächtern absurd vorkommen. Aber selbst das ist ein biblisches Motiv, wenn man diesen Begriff weit fasst. Es stammt nämlich aus dem äthiopischen Henoch-Buch, das im Bibelkanon der äthiopischen christlichen Kirche zum Alten Testament dazugehört.

Die Drehbuchautoren haben viele bekannte Motive aus dem Alten Testament in die Sintflutgeschichte hineininterpretiert. Das Motiv der unfruchtbaren Frau kennen wir etwa von Sarah, Abrahams Frau. Die Mädchen, die auf der Arche zur Welt kommen und getötet werden sollen, erinnern an die Knäblein aus dem Volk Israel, die zur Zeit Mose durch den Pharao in den Nil geworfen werden sollen. Und wenn Noah versucht, seine Enkelinnen umzubringen, weil er meint, dem Willen Gottes entsprechen zu müssen, spielt das offenkundig auf das Opfer Isaaks durch Abraham an. Der Film ist also mit zahlreichen Bibelanspielungen gesättigt. Natürlich nicht biblisch im Sinne von Genesis 6-9, aber er bietet doch eine differenzierte und unideologische Auslegung.

Mir hat gut gefallen, dass die moralischen Untertöne wirklich Untertöne bleiben, wie es auch in der Bibel gedacht ist. Die Sintflut-Erzählung will nicht erziehen, sondern sie will verstehen: Weshalb kann die Menschheit angesichts ihrer Gewalttätigkeit auf der Erde überleben? Dazu bietet sie eine mythische Erklärung.

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