Aus Anlass der Internationalen Kurzfilmtage in Winterthur werden am 12. November alle Ausgaben aus dem Jahr 1956 in Deutsch, Französisch und Italienisch online gestellt.
Ab 2017 folgt die Veröffentlichung aller weiteren Jahre. So wird die Filmwochenschau ab Mitte Monat schrittweise bei Memobase, Link öffnet in einem neuen Fensterim Browser öffnen und beim Schweizerischen Bundesarchiv, Link öffnet in einem neuen Fensterim Browser öffnen veröffentlicht.
Die Schweizer Filmwochenschau ist das audio-visuelle Gedächtnis einer Nation über 35 Jahre. Eine Sensation für all jene, die sich für Filmgeschichte interessieren, für alle historisch-wissenschaftlichen Zugänge sowie für alle soziologischen und kunsthistorischen. Die Schweizer Filmwochenschau ist mehr als Fundus, sie ist ein Schatz.
Zurück zu den Anfängen
Die Wochenschau wird 1940 ins Leben gerufen «gegen die unheilvolle Propaganda» der Nazis in Deutschland, «als Mittel der geistigen Landesverteidigung, um Bildmaterial aus dem eigenen Land zu liefern.» Die Wochenschau ist vom Bundesrat beauftragt und über eine Stiftung alimentiert.
Nach dem Zweiten Weltkrieg fungiert sie weiter als audiovisuelle Unterstützung der Printmedien. Sie soll «Verständnis schaffen für die politischen, wirtschaftlichen und kulturellen Verhältnisse», und sie soll unterhalten.
Die Wochenschau erfindet sich neu
In den 1960er-Jahren übernimmt das Fernsehen sukzessive die tagesaktuelle Berichterstattung. Die Filmwochenschau muss sich neu definieren und erfindet Anfang der 1970er-Jahre das «gefilmte Magazin». Freie Filmschaffende werden beauftragt, Beiträge zu realisieren.
Gräbt man im Archiv, dann findet man Beiträge Schweizer Autorenfilmer. Grandiose Filmperlen, teilweise mit ausnahmslos subjektiver Kamera, mutig montiert. Filmische Statements aus einer anderen Zeit: von Lyssy bis Zeindler, von Lys Wiedmer bis Jean-Francois Rohrbasser.
Eine Auswahl von «Filmer-Beiträgen» aus den 1970er-Jahren:
1. «Selbstentscheidung» von Werner Zeindler
Werner Zeindlers Beitrag zum Thema Schwangerschaftsabbruch wird zum nationalen Aufreger mit einer gefilmten Abtreibung: Zeindler beleuchtet differenziert die Situation der Frau und kommt zu einem klaren Statement: Für die Selbstbestimmung der Frau. Auch in dieser Frage.Selbstentscheidung, Schweizer Filmwochenschau vom 6.12.1974, (Schweizerisches Bundesarchiv, J2.143#1996/386#1619#1*)
2. «3 Mal wahrhaft wehrhaft» von Rolf Lyssy
Ein kritischer Beitrag von Rolf Lyssy über die Schweizer Armee. Lyssy realisiert einen Beitrag und verzichtet gänzlich auf einen geschriebenen Kommentar. Als Tonspur setzt er eine Ansprache von Bundesrat Rudolf Gnägi ein, der ist von 1968 bis 1979 Leiter des Militärdepartments. Lyssy schneidet darauf Filmmaterial von den Einweihungsfeierlichkeiten der Waffenplätze in Isone und Wangen. Lyssys Kommentar steckt in der Montage: Wann er welches Bild auf Gnägis Sätze schneidet, spricht für sich…3 Mal wahrhaft wehrhaft, Schweizer Filmwochenschau vom 27.4.1973, (Schweizerisches Bundesarchiv, J2.143#1996/386#1539#1*)
3. «Bauchlage des Säuglings» von Rolf Lyssy
1973 realisiert Rolf Lyssy einen Beitrag über die Bauchlage des Säuglings. Das ist damals neu und führt zu vehementen Auseinandersetzungen altgedienter Eltern mit jungen Eltern. Welchen Hintergrund die Bauchlage hat, wissen die Altgedienten nicht. Lyssy holt den Kinderarzt Werner Ricklin dazu und der klärt medizinisch auf. Ein «Erklärstück», wie man die Gattung damals nennt, vom Feinsten.Bauchlage eines Säuglings, Schweizer Filmwochenschau vom 15.6.1973, (Schweizerisches Bundesarchiv, J2.143#1996/386#1544#1*)
4. «Vier Erstlinge» von Rolf Lyssy
Der deutschschweizer Autorenfilm hole endlich auf gegen die Übermacht aus der Romandie, heisst es im Beitrag. Der Bund fördere, die Kantone, Private und das Fernsehen. «Endlich» ist der Tenor. Vier Regisseure drehen ihre Erstlinge: Peter von Gunten, Ueli Meier, das Kollektiv AKS (Aebersold, Klopfenstein, Schaad) und Markus Imhoof.Vier Erstlinge, Schweizer Filmwochenschau vom 11.10.1973, (Schweizerisches Bundesarchiv, J2.143#1996/386#1559#1*)
5. «Die Stahlreiter von Hauenstein» von Rolf Lyssy
Jeden Donnerstag treffen sie sich, die Easy Riders der Schweiz. Ein Beitrag von Rolf Lyssy, fast ohne Worte, eine beobachtende Kamera über Motorradkult, über Freiheit – nach Feierabend, über das Dazugehören. Die verwegene Gruppe, viel Chrom in Grossaufnahme, donnernder Sound und knarzende Lederkombis.Die Stahlreiter von Hauenstein, Schweizer Filmwochenschau vom 20.9.1973, (Schweizerisches Bundesarchiv, J2.143#1996/386#1556#1*)
6. «Westschweizer Filme» von Claude Richardet
Da sind sie alle noch jung: Michel Soutter, Claude Goretta, Alain Tanner, Jean-Louis Roy, Simon Edelstein. Den Durchbruch haben sie fast geschafft. Das habe man allerdings allein dem französischen Kinopublikum und der französischen Presse zu verdanken, sagt Jean-Luc Bideau. Den Schweizern habe man gar nichts zu verdanken. Ein Beitrag über das Autorenkino der 1970er-Jahre mit Filmstills vergessener, schwarz-weisser Schönheit.Westschweizer Filme, Schweizer Filmwochenschau vom 24.1.1975, (Schweizerisches Bundesarchiv, J2.143#1996/386#1626#1*)
7. «Subjektiven» von Ernst Bertschi
Der subjektive Blick eines Gegenstandes, eines Menschen, eines Tiers wird von Filmern kurz «die Subjektive» genannt. Ernst Bertschi montiert sie kommentarlos hintereinander: die Subjektiven eines Tramchauffeurs, eines Hundes, eines Piloten, eines Neugeborenen. Jeder hat seine eigene und jedes Mal sieht die Welt anders aus.Subjektiven, Schweizer Filmwochenschau vom 14.2.1975, (Schweizerisches Bundesarchiv, J2.143#1996/386#1629#1*)
8. «Romainmôtier» von Jean-François Rohrbasser
Ein Portrait über einen «Modeort», der jeden Sonntag von Touristen heimgesucht wird, eine Intellektuellen- und Künstlerhochburg am Jurafuss. Besucher wie Ansässige seien auf der Suche nach der verlorenen Zeit und «religiöser Versenkung»: «Wer hier lebt, ist unglücklich über das Stadtleben.»Romainmôtier, Schweizer Filmwochenschau vom 20.12.1974, (Schweizerisches Bundesarchiv, J2.143#1996/386#1621#1*)
9. «Museum im Pferdestall» von Hermann Wetter
Ein Beitrag über die Cinémathèque Suisse in Lausanne: Damals untergebracht in einem Pferdestall! 40 Millionen Filmmeter und ein einziges Visioniergerät für alle Mitarbeiter! Unwiederbringliche Filmschätze. Kintopp aus dem Strassenleben der Jahrhundertwende: notdürftig untergebracht in einer Remise. Tempi passati – Gott sei Dank.Museum im Pferdestall, Schweizer Filmwochenschau vom 4.10.1973, (Schweizerisches Bundesarchiv, J2.143#1996/386#1558#1*)
10. «Lavaux» von Yvan Dalain
Zugfahrt durchs Lavaux, wo manch Reisender die Rückfahrkarte aus dem Fenster wirft und bleibt. Die Gegend, von der Goethe weiss, der liebe Gott habe sie – beglückt von ihrer Schönheit – umarmt. Die UNESCO hat's auch gemerkt und sie zum Weltkulturerbe gemacht. Weinbau, der See, das Licht: Für die, die dort leben, mehr als Landstrich. Ein Junge in gelber Pellerine sagt: «Mon pays, c'est Lavaux.»Lavaux, Schweizer Filmwochenschau vom 9.11.1973, (Schweizerisches Bundesarchiv, J2.143#1996/386#1563#1*)
11. «Die Amazonen kommen» von Lys Wiedmer
Jedes Jahr, wenn «die Kavallerie abgesattelt hat, kommen die Mädchen». Ein Beitrag über einen vier Wochen dauernden Kurs für Backfische und Pferde-Närrinnen: Gespann fahren – «ja das wär's!» Mädels und Pferde, grosse Träume von Olympia, Teenager-Flausen und frühes Aufstehen.Die Amazonen kommen, Schweizer Filmwochenschau vom 29.11.1974, (Schweizerisches Bundesarchiv, J2.143#1996/386#1618#1*)
Am 24.1.1975 beschliesst der Bundesrat: Mit der Schweizer Filmwochenschau ist Schluss. Die Stiftung wird liquidiert. Zwei Monate später ist es soweit. Die letzte Wochenschau, Nummer 1651, blickt zurück: 35 Jahre in sechseinhalb Minuten.
(Die letzte Ausgabe, Schweizer Filmwochenschau vom 27.3.1975, Schweizerisches Bundesarchiv, J2.143#1996/386#1635#1*)