Ein wahres Kunstwerk hat an Orten, die nicht für Kunst bestimmt sind, keinen leichten Stand. Es gibt nur zwei Möglichkeiten, wie Kunst mitten im Lärm einer Stadt ihre Botschaft unter die Leute bringen kann: Sie muss entweder laut schreien oder unerschütterlich in sich ruhen.
Der Hafenkran tut keines von beidem. Er ist zwar gross, doch er schreit nicht. Er funktioniert nicht wie ein Kunstwerk, sondern wie ein Witz: Grosser Kran im kleinen Zürich, ha ha. Ist die Pointe mal kapiert, ist es mit dem Amusement auch schon wieder vorbei. Somit ist der Hafenkran mit den farbigen Kühen an der Bahnhofstrasse zu vergleichen: Er ist eine humorvolle Stadtbild-Dekoration.
Kunst kann im besten Fall etwas leisten
Im Gegensatz dazu steht etwa Pipilotti Rists Installation «Open My Glade», die im Jahr 2000 am Times Square in New York zu sehen war. Das Kunstwerk schrie. Es war ein stummer und doch ein unüberhörbarer Schrei. Da sah man ihr Gesicht in Grossaufnahme, wie es sich im engen Viereck des Monitors wie in einem Glasgefängnis quälte. Drastisch führte die Künstlerin den Stadtbewohnern vor Augen, dass ein vitaler Teil ihres Wesens unter den Bedingungen des modernen Lebens leidet.
Max Bills Pavillonskulptur an der Bahnhofstrasse ist ebenfalls ein Beispiel dafür, was die Kunst im öffentlichen Raum im besten Fall leisten kann. Ihre unerschütterliche Ruhe ist tiefgründig. Sie flösst seit 30 Jahren (sie wurde 1983 aufgestellt) den Menschen eine universelle Zuversicht in die Gültigkeit ausgewogener Proportionen ein – auch wenn sie nur darauf sitzend ihr Mittagsbrot verzehren.
Reflexion ging nicht weit genug
Die Diskussion um den Hafenkran wurde in Zürich durch eine Polarisierung der Argumente erschwert. Die Empörung dagegen speiste sich aus den Kreisen, welche die Gegenwartskunst als zu wenig verständlich ganz ablehnen. Wer gegen den Kran argumentierte, lief Gefahr, als Verfechter dieses überholten bürgerlichen Kunstverständnisses zu gelten. Das Engagement für den Kran, das die Stadtbehörden und ihre einzelnen Mitglieder an den Tag legten, speiste sich demgegenüber aus einem fortschrittlichen Denken. Das war erfreulich, aber es ging in der Reflexion nicht weit genug.
Denn hinter dem Hafenkran steht keine künstlerische Philosophie, keine Haltung, welche das Kunstwerk erst zu einem Kunstwerk macht. Im metallischen Knarren des Krans erkennt man zwar ein fernes Echo der Parole des Jugendaufstands der 80er-Jahre, welche «freien Blick aufs Mittelmeer» forderte. Im Jahre 2014 ist eine solche nostalgische Umsetzung dieses Spruchs aber nur eine müde Geste, ähnlich wie wenn eine Autofirma Che Guevara zum Markenbotschafter der «revolutionär» tiefen Preise macht.
Von der modernen Kunst im öffentlichen Raum erwartet man zwingend, dass sie Möglichkeiten schafft, den von ihr markierten Raum neu zu denken und neu zu gestalten. Ein Hafenfest unter dem Kran ist aber reines Stadtmarketing. Ein «Event», wie ihrer viele am Limmatquai stattfinden. Es tut sich keine tiefere Dimension auf.
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