Ausserhalb von Zürich erzählt man sich nicht erst seit dem Hafenkran folgende Geschichte: Zwei Zürcher fahren zusammen ans Meer, das sie beide zum ersten Mal überhaupt sehen werden. Als sie dann endlich da stehen, am Rand des grossen Wassers, sagt der eine zum andern: «Das han ich mir aber grösser vorgstellt!»
Seit zehn Tagen liegt Zürich selbst neuerdings am Meer. Und der Kran, sprich das 2009 im Rahmen eines internationalen Wettbewerbs ausgezeichnete und dennoch umstrittene Kunstprojekt «Zürich Transit Maritim», das diese Verschiebung der Stadt Zürich ans Meer vorschlägt, ist nun witziger Weise für manche auch kleiner ausgefallen als erhofft. Nicht primär für die Einheimischen, die den Hafenkran, seit er nun endlich da ist, vor Ort schon tausendmal fotografiert, applaudiert - oder abqualifiziert haben.
Eine Frage des Massstabs
«Ich bin gestern mit der Tram über das Limmatquai gefahren. Meine erste Reaktion war: Der ist ja gar nicht so gross, wie ich gedacht habe! Auf den Fotos und in den Modellen sieht das sehr viel imposanter aus», erinnert sich die Kunstwissenschaftlerin Sibylle Omlin an die erste reale Begegnung mit Zürichs Kran. «Das ist ja oft auch ein Umstand, der Kunst im öffentlichen Raum so aufregend macht, es geht um die Verschiebung von Massstäben», so die Direktorin der Kunsthochschule des Kantons Wallis ECAV, welche den Forschungsschwerpunkt Kunst im öffentlichen Raum hat.
Die Frage nach dem finanziellen Mass beantwortete der zweite Gast der Diskussion, Martin Waser, 2002 bis 2014 Mitglied der Zürcher Stadtregierung und eigentlicher Vater des Hafenkrans dahingehend, dass das Kunstprojekt «Zürich Transit Maritim» jeden Zürcher, jede Zürcherin gerade mal einen Franken fünfzig gekostet habe.
Allerdings: Kann ein Hafenkran Kunst sein? «Als Kunstexpertin habe ich keine Probleme damit, diesen Hafenkran als Kunstwerk zu definieren», erläuterte Omlin. Allerdings sei es absolut normal, dass sich diese Frage ausserhalb des Kunstkontextes zu Recht stelle und diese öffentliche Diskussion gehöre bei Kunstprojekten für den öffentlichen Raum zum Kunstwerk dazu - nebst der grundlegenden Funktion, welche jede Kunst habe, nämlich jene, «ein Seherlebnis, eine ästhetische Erfahrung zu bieten».
Ein Kran als Readymade
Den Kran verglich sie mit einem «Readymade». «Es ist in der zeitgenössischen Kunst immer auch Thema gewesen, dass Objekte, die bereits existieren, als Kunst definiert, von einem Raum in den andern verschoben werden». Auch die Arbeit des Dadaisten Marcel Duchamp werfe bis heute wichtige Fragen auf, so Omlin. «Was ist überhaupt ein Kunstwerk? Wie minimal kann es sein? Wie reduziert? Wie konzeptuell? Wie ästhetisch? Das sind die alten Fragen, die sich in der Kunst nach wie vor stellen.»
Vom Randstein zum Kunstwerk
Der früher für das städtische Tiefbauamt und deshalb für die Neugestaltung von öffentlichem Raum in der Stadt Zürich verantwortliche Martin Waser hatte 2008 den Kunstwettbewerb im Rahmen der Neugestaltung des Quais entlang der Limmat lanciert, welche die zwei Teile von Zürichs Altstadt durchquert. Waser hatte auch im Sinn, mittels der Kunst einen neuen Blick auf die stadtplanerischen Möglichkeiten für die Zürcher Innenstadt freizulegen. «Als ich 2002 ins Amt kam, hatten wir einen riesigen Investitionsstau aus den 1990er Jahren, als es der Stadt sehr schlecht gegangen ist. Wir hatten nun die Aufgabe, die öffentlichen Räume neu zu gestalten, zu renovieren - auch ein bisschen freizuspielen.»
Die Lebendigkeit einer Stadt entstehe, so Waser, gerade auch im Austausch und Aufeinandertreffen der unterschiedlichsten Bevölkerungsteile im öffentlichen Raum. «In diesen Kontext Kunstwerke zu installieren, finde ich wichtig, weil es diese städtische, urbane Diskussion belebt und befruchtet. Das war mir jedenfalls ein Anliegen. Ich wollte nicht einfach neu teeren und neue Randsteine setzen.»
Das Kunstprojekt «Zürich Transit Maritim» rege primär das Imaginäre und das Träumen an, so Omlin. Sie hätte sich gewünscht, dass die Künstler den ausgelösten Diskurs noch mehr an eine städtebauliche Frage anbinden würden. «Ich mag den Kran, ich mag den Poller eigentlich noch mehr – das war eine sehr feine Setzung. Aber ich denke, jetzt kommt dieser Diskurs, und da sind die Kunstschaffenden in der Verantwortung.»
Klicken Sie hier und diskutieren Sie mit über den Zürcher Hafenkran.