Wieso ist der Hafenkran so umstritten?
Martin Waser: Der Kran ist verblüffend. Und bei neuen, verblüffenden Sachen, da teilt sich die Menschheit schon einmal auf. In solche, die erschrecken und abwehren, und andere, die neugierig sind und denken, «ja, ist etwas durchgeknallt, aber was soll's» – und sich darauf einlassen. Es ist nichts Kleines, was man still und heimlich hinstellen kann und das niemand bemerkt. Es ist im Herzen von Zürich, mitten in der Altstadt. Ein Hafenkran, der plötzlich dasteht.
Sie wollten etwas Grosses hinstellen!
Mich hat genau das fasziniert. Etwas, das nicht, wie so oft in Zürich, diskret gemacht wird. Ich meine, Zürich ist wohl Weltmeister im Unter-den-Boden-Bauen. Der Kran ist das Gegenteil davon, und in dem Sinne provoziert er natürlich. Aber ich finde, ab und zu kann man die Leute schon etwas schütteln und ich meine, existentiell tut es niemandem weh. Es ist aber interessant, wie emotionalisiert die Diskussion ist.
Als vor fünf Jahren das Kunstprojekt «Zürich Transit Maritim» initiiert wurde, waren sie Chef des Tiefbauamtes. Wollten sie einfach mal hoch hinaus?
Das ist natürlich eine Fehleinschätzung. Das Tiefbau- und Entsorgungsdepartement baut den öffentlichen Raum. Und der öffentliche Raum ist zwar durch Hochbauten begrenzt, aber ist eben ein Raum und hat durchaus grosse Züge. Und das ist mir in dieser Zeit, in der ich dort tätig war, klar geworden. Der städtische Raum ist für die Entwicklung einer Gesellschaft oder für eine städtische Bürgerschaft extrem wichtig.
Und in dem Sinn war es mir ein Anliegen, erstens den Raum sehr sorgfältig zu gestalten, und zweitens auch zu inszenieren und die Leute mit Sachen zu konfrontieren – nicht im negativen Sinn, weil man ja nicht ausweichen kann. Man kann schon provozieren, darf es aber nicht übertreiben.
Die Reaktionen blieben ja auch nicht aus.
Zuerst gab es natürlich wahnsinnig heftige Reaktionen auf dieses Projekt. Viele begriffen gar nicht, dass eigentlich eine poetische Geschichte dahintersteht, dass nicht einfach ein Kran das Kunstwerk ist, sondern die ganze Geschichte dahinter: mit den Pollern, dem Kran, dem Schiffshorn. Dann geht der Kran weg und das Horn klingt noch nach. Dann verschwindet es wieder. Und das gibt ja Geschichten daraus, das sind so Sachen, die das Menschsein ausmachen. Dass es Legenden gibt, Geschichten gibt, die man weitergeben kann – das fand ich eigentlich stark daran.
Was kann solche Kunst im öffentlichen Raum bewirken?
Es löst bei vielen Leuten, wenn das jetzt so inszeniert wird, eine Diskussion aus: Woher kommen wir? Wo gehen wir hin? Was ist unsere Verbindung zur Welt? Ich glaube schon, dass das funktioniert, diesen Faden müssen wir jetzt aufnehmen. Es gibt viele, die nun plötzlich aktiv werden, die sich melden – bis und mit Leuten, die Seemannslieder singen wollen, irgendwann einmal, freiwillig, für sich … Das ist doch super.
Kunstkenner sind eher skeptisch, was das Künstlerische an diesem Projekt angeht.
Ich will eigentlich niemanden davon überzeugen, das mache ich in der Politik. Ich will nur die Leute überzeugen, dass sie es möglich machen. Ich bin einer, der die Dinge ermöglichen will. Und dann, was die Wirkung ist – so eng will ich die Kunst nicht ins Korsett nehmen. Das finde ich nicht sinnvoll. Mein Selbstverständnis ist: Die Welt verändert sich und ich will sie mitgestalten.
Das geht mit Kunst?
Zum Beispiel. Es gibt ja ganz viele Möglichkeiten.
Und wieso ist das Projekt dann doch fast gescheitert?
Es hat sich gezeigt, dass wir technische Schwierigkeiten haben mit dem Kranmodell, das die Künstler gefunden haben. Und dass es teurer wird. Es hätte einen Zusatzkredit gebraucht, wir hätten erst nächstes Jahr bauen können. Dann wäre die Initiative der SVP gekommen und das Projekt wäre tot gewesen. Also habe ich innerhalb von zirka neunzig Sekunden gedacht: Da musst du in die eigene Tasche greifen, sonst ist es tot. Nachdem wir dermassen intensiv gestritten hatten, haben alle das Anrecht zu erleben, wie es wirklich ist. Und dann können wir nach einem Jahr Bilanz ziehen.
Sie waren bereit, es persönlich mitzufinanzieren?
Dieses Projekt begleitet mich schon sehr lange, sechs Jahre lang, und da lässt es mein Kopf nicht zu, dass es am Schluss «Plopp» macht und nicht da ist. Da muss ich sagen, da habe ich wirklich auch emotional ein Engagement und da waren ich und meine Frau bereit, etwas zu opfern.
Ist das ihr politischer Ehrgeiz?
Nein, Ehrgeiz nicht. Nein, wirklich, irgendwann identifiziert man sich mit so immateriellen, auf den ersten Blick «sinnlosen» Sachen. Die Frage ist doch, was macht das Leben interessant? Da lohnt es sich, sich einzusetzen. Wir sind ja in der komfortablen Situation, nicht ums Überleben kämpfen zu müssen. Und da kann man etwas Kluges tun mit den materiellen Gütern, die da sind. Jetzt haben wir unser Angespartes etwas «angeknabbert», das ertragen wir.
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