Die Urszene hat sich schon am ersten Schultag abgespielt. «Wo kommst denn Du her?», fragt der Lehrer. «Aus Menziken», sagt das Kind wahrheitsgemäss. Und alle lachen. Weil das Kind ja so «indisch» aussieht.
Das Lachen der Kinder bewerkstelligt, was der Kultursoziologe Mark Terkessidis «Entgleichung» nennt. Dem wird Dean ein Leben lang immer wieder begegnen. Nicht zuletzt als Schriftsteller.
Schnittpunkt zwischen Nord und Süd
Er wehrt sich dagegen durch lebenslange Beschäftigung mit dem Fremden. Seine Essays erzählen davon, wie er der Vergangenheit seiner Vorfahren nachgeht. Väterlicherseits gerät er dabei nach Indien, von dort nach Trinidad, und in London findet er schliesslich seinen leiblichen Vater: arm, alt und sprachlos. Mütterlicherseits führt die Spur ins deutsche Rügen.
Einer der Spiegel, in dem sich Dean zu erkennen versucht, ist daher Thomas Mann: Manns Mutter kam aus dem sonnigen Süden, sein Vater aus dem strengen Lübeck. Und Mann hat diesen Gegensatz in allen möglichen Bedeutungen immer wieder bedacht und dargestellt. Bei Dean ist es umgekehrt: Mutter aus dem Norden, Vater aus dem Süden.
Reisen in die Fremde
Vielleicht weil der Fremde unter Fremden weniger fremd ist, reist Dean nach Paris, London, Indien und Japan, wo er überall Fremden begegnet. In Paris ist die Begegnung glücklich, in London beeindruckend, in Indien abstossend, in Japan extrem.
Ganz nebenbei entstehen bildstarke Städte- und Länderporträts. Subtil und verblüffend, wie Dean den Unterscheid zwischen Paris und London erfasst, wenn es um den Umgang mit fremden Menschen geht! Dem absolut Fremden aber begegnet Dean erst in der Literatur: Der Schriftsteller Elias Canetti sucht und findet es in Marrakesch – als Ton, als Sound.
Das Fremde als «Hallraum»
Deans Beschäftigung mit dem Fremden beruht auf der Überzeugung, dass das Fremde für die Bestimmung des Eigenen unerlässlich ist. Beunruhigt beobachtet er, wie die Fähigkeit, Fremdes auszuhalten, heute verkümmere. Er definiert das Fremde als «Hallraum», in dem wir unsere Stimme erheben – und erst am Echo erkennen wir uns selbst.
Erhellendes «Täschligate»
Eine prominente afroamerikanische Showmasterin interessierte sich eines Tages in einer Zürcher Boutique für eine Tasche und musste von der Verkäuferin hören, die Tasche sei für sie zu teuer.
Die Episode wurde zum vieldiskutierten Skandal – zum «Täschligate». Dean nimmt sie zum Anlass zu erläutern, wie paranoid der Raum ist, in dem sich Schwarz und Weiss begegnen: Unsicherheiten, Vermutungen, Unterstellungen und Ressentiments prägen ihn.
Ein reiches «Büchlein»
Deans stark verdichtete Texte kommen einfach daher, sind aber herausfordernde Einladung zum Nachsinnen und Recherchieren.Wer mit Fantasie und Interesse geizt, wird nur ein «Büchlein» in der Hand halten, wie die Kritikerin der Basler Zeitung. Wer einzelnen Sätzen, Formulierungen und Wörtern nachhört, wird zu eigenen Erkenntnissen kommen. Dean nutzt seine Erfahrungen und sein historisches wie philosophisches Wissen, um einen kritischen Blick auf die Gegenwart zu werfen, vermeidet aber jeglichen billigen Kulturpessimismus.