Wer dieses Jahr am Luzerner Comic-Festival Fumetto in eine neue Welt eintreten will, hat es nicht weit: Direkt neben dem Bahnhof steht das Motorschiff Rigi und eröffnet ein Universum, das den meisten von uns üblicherweise verschlossen bleibt.
Es ist die Welt eines jungen Mädchens namens María. Sie ist überall in der Ausstellung im Schiff anzutreffen: Auf Fotos, Briefen und Kritzeleien und auf den zahlreichen Comic-Zeichnungen, die chronologisch an den Bugwänden angebracht sind.
María sieht glücklich aus, auf allen Abbildungen lacht sie, die Augen zusammengekniffen, die schwarzen Haare erst raspelkurz, dann wuschelig lang. Doch hinter den fröhlichen Zeichnungen steckt kein leichtes Los: María ist schwer autistisch. Sie kann kein normales Leben führen, für sie ist die Welt ein anstrengender Ort, denn ihre eigene Welt gehorcht anderen Prinzipien als die unsere.
Mit dem Zeichenstift in Marías Universum
Nun ist ihre Welt in Luzern zu sehen. «Ich habe das ganze Leben Marías hier auf dieses Schiff gebracht!», lacht Miguel Gallardo. Der renommierte spanische Comic-Zeichner arbeitet für Zeitschriften wie den New Yorker oder La Vanguardia, aber in erster Linie ist er der Vater von María.
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Als Gallardo und seine damalige Frau herausfanden, dass ihr Kind autistisch ist, war María bereits acht Jahre alt und hatte Schwierigkeiten, sich in der Welt ihrer Eltern zurechtzufinden. «María konnte unsere Stimmen nicht richtig hören und hat nicht auf ihre Umgebung reagiert. Sie lebte in ihrem eigenen Universum», sagt Gallardo.
Wie viele Autisten rede María viel und gerne, brauche aber keine zusammenhängenden Sätze, was die Kommunikation mit ihr erheblich erschwere. Also suchte ihr Vater einen anderen Weg, zu seiner Tochter durchzudringen.
Als Comic-Zeichner war das erste, wonach Gallardo griff, ein Zeichenstift. Und siehe da: María schaute aufmerksam zu, sie mochte es, wenn ihr Vater etwas auf ein Papier kritzelte.
Die Reise hat sich gelohnt
Und so baute der spanische Künstler Stück für Stück seine Art der Kommunikation auf: Er fragte María, was er zeichnen soll und setzte an. Entstanden sind dabei Tausende von Aufnahmen aus Marías Leben, gemeinsame Erlebnisse, Eindrücke und immer wieder Köpfe von Freunden und Bekannten mit den dazugehörenden Namen. Die Köpfe sind eine Veranschaulichung von Marías erstaunlicher Erinnerungsfähigkeit: Sie vergisst kein Gesicht. Jeder, den sie trifft, ist für immer in ihrem Kopf abgespeichert.
Heute ist María 20 Jahre alt. Seit ihrer Geburt sind unzählige Zeichnungen, Kurzfilme, ein Dokumentarfilm und zwei Bücher über sie entstanden. Gallardo reist neben seiner Tätigkeit als Comic-Zeichner herum und spricht auf Kongressen über Autismus.
«María hat mein Leben völlig verändert. Deshalb mag ich auch diesen Ausstellungsort so gerne. Es ist ein Schiff und es nimmt dich mit auf eine Reise, wie María mich auf eine Reise mitgenommen hat.» Eine gute Reise? Gallardo lächelt und nickt.
Sendung: Radio SRF 2 Kultur, Kultur kompakt, 6.3.15, 7.20 Uhr