Internet-Enthusiasten der ersten Stunde wie Sascha Lobo sind desillusioniert: Nach der NSA-Spähaffäre sei das Netz nicht länger das ideale Modell der Demokratie – sondern ein Ort totaler Kontrolle.
Wir verfolgen diese Entwicklung mit Sorge. Das Internet ist mit dem «Überwachungsvirus» verseucht. Der Wandel des Netzes ist im Gange. Doch wir glauben nicht, dass die freiheitliche Idee tot ist. Es ist wichtig, dass jeder seine Meinung anonym äussern darf. Wie bei der Fasnacht. Wenn man sich eine Maske aufsetzt, ist es leichter, die Wahrheit zu sagen.
Momentan gibt es noch genug Alternativen, sich dieser Kontrolle zu entziehen. Wem die Privatsphäre wichtig ist, der kann sich dezentral organisieren. Diese Situation hat aber auch ein spielerisches Potenzial. Hier setzt unsere Kunst an.
In eurer ersten Einzelausstellung seit 2007 widmet ihr euch Julian Assange. Der Kopf der Enthüllungsplattform Wikileaks ist eine Figur, die in der Öffentlichkeit stark polarisiert. Was interessiert euch an diesem Phänomen?
Julian Assange steckt seit 18 Monaten in London auf 20 Quadratmetern fest. Die ecuadorianische Botschaft hat ihm dort Asyl gewährt. Als Schlafgelegenheit haben sie die Damentoilette umgebaut. Das ganze Haus ist von der britischen Polizei umstellt und ständig überwacht. Ein Kriegszustand.
In seinem Arbeitszimmer laufen die Fäden zusammen. Hier manifestiert sich der gesellschaftliche Konflikt des Internets auf kleinstem Raum. Das hat uns fasziniert. Assange ist wohl die bestüberwachte Person der Welt. Wir wollten wissen, ob wir die Polizeisperre zur Schaltzentrale von Wikileaks umgehen können.
Oft arbeitet ihr mit technischen Hilfsmitteln. Am Anfang des Projekts habt ihr euch für eine altmodische Lösung entschieden: Ein Paket. Ist die Post die letzte Bastion der Freiheit?
Wie wir heute wissen, werden alle unsere E-Mails überwacht. Alles was wir online kommunizieren wird irgendwo zwischengespeichert und gelesen. Der Inhalt kann so auch in zehn Jahren ausgegraben und gegen uns verwendet werden. Die gute alte Post ist eine interessante Alternative. Denn bei Paketen gibt es noch das Postgeheimnis.
Unsere Frage war: Was passiert, wenn wir dieses Paket an Julian Assange schicken? Wird es vom britischen Geheimdienst geöffnet? Welchen Weg nimmt es? Wir haben deshalb aus einer Kartonkiste eine Lochkamera gebaut und abgeschickt. Mittels eines Handys hat diese Kamera alle zehn Sekunden ein Bild sowie die Position ins Internet übertragen. Den Weg dieses Pakets haben tausende Menschen im Netz mitverfolgt und haben unseren Server zum Erliegen gebracht. Nun liegt es als Leihgabe in unserer Ausstellung «Delivery for Mr. Assange» in Zürich.
Eure Sendung hat den Weg zu Assange gefunden. Wie hat er das aufgenommen?
Er hat eine kleine Performance vor dieser Paketkamera mit selbst geschriebenen Karten vorgeführt. Doch die Paketlieferung war der Beginn unseres Austauschs. Seither haben wir ihn seinem Londoner Asyl mehrmals besucht. Assange hat sich stark mit unserem Projekt auseinandergesetzt. Auf die Frage einer schwedischen Zeitung, welcher Besuch ihm besonders geblieben sei, antwortete er: Lady Gaga, Vivienne Westwood und die !Mediengruppe Bitnik.
Vom CIA-Briefpapier auf dem Tisch bis zur Sauerstoffflasche neben seiner Garderobe – das Herzstück eurer Ausstellung ist eine minutiöse Nachahmung von Assanges Arbeitszimmer.
Wir wollten die Endstation des Pakets aus unserer Erinnerung nachbauen. Die Lieferung war bereits eine Art virtuelle Liveperformance. In den 36 Stunden, in der das Paket unterwegs war, ist unglaublich viel passiert. Im Museum kann der Besucher unsere Aktion aus einer anderen Perspektive betrachten und den engen Raum erleben, in dem Assange lebt. Dies führt zu anderen Diskussionen als in der schnelllebigen Medienwelt.
Ihr nutzt das Hacken für eure Kunst und nicht für politische Eingriffe. Weshalb habt ihr euch für die Welt der Museen entschieden?
Wir wollen mit unserer Kunst, im Gegensatz zu politischen Aktionen von Hackern, Fragen stellen, anstatt sie zu beantworten. Doch das Hacken ist Teil unserer Arbeit. Wir nehmen Elemente aus der Computerkultur und setzen diese in einen gesellschaftlichen Kontext. Unsere Kunst lebt von Systemtests. Dabei darf das Vorhaben auch mal scheitern.