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Dieter Roth mit Horn
Legende: Dieter Roth beim 1. Münchner Konzert von «Selten gehörte Musik», städtische Galerie im Lenbachhaus, 28.5.1974. Karin Mack/ VBK

Kunst Dieter Roth: Schimmelbilder, Scheisse-Gedichte und Hundemusik

Ein Alleskünstler, das ist der 1998 verstorbene Künstler Dieter Roth. Weltberühmt dank seiner Schimmelbilder. Zwei Ausstellungen zeigen, dass er seine enorme Kreativität auch musikalisch entfaltete – beispielsweise mit Hundegebell. So unbedarft, wie er gern tat, war Dieter Roth jedoch nicht.

Hundegebell, Bargeräusche oder ein sich betrinkender Pianist: «Ist das noch Musik?», werden sich da einige fragen. Und Berufsmusiker dürften reflexartig sagen: Das ist doch Dilettantismus!

Bei Dieter Roth wird alles zu Kunst

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Womöglich würde ihnen Dieter Roth, der Künstler dieser Werke, recht geben. «Und hoch das Amarteurenvolk» war sein Ausruf. Und beim Anhören von Musik soll er einmal gesagt haben: «Da musst du schon schwer besoffen sein, bis dir das gefällt.» Ja, selbst das gehörte bei ihm zum Kunstschaffen: Für seine «R adio sonate» etwa improvisierte er 45 Minuten am Klavier. Dazwischen nahm er immer wieder einen Schluck Bier oder Whisky, sodass er schliesslich betrunken war.

Er war ein Extrem- und Alleskünstler. Jedes Ding wurde unter seinen Händen zu Kunst. Er hat den Schimmel als Verweser in seine Kunst eingelassen, er hat die Inseratenseiten aus Zeitungen zu Büchern geschnitten und gebunden, er schrieb Scheisse-Gedichte und entwarf Installationen. Warum sollte er vor Klängen und Geräuschen haltmachen?

Der professionelle Dilettant

Geigenkasten mit zerbrochener Geige und Malutensilien
Legende: Stummes Relief (1984-1988), Zerbrochene Violine, Malutensilien, Sperrholz, Abfall in Violinkoffer Kunsthaus Zug

Dieter Roth liebte es, musikalisch zu dilettieren – wobei man bei ihm nie ganz sicher sein darf, ob er nicht einfach genussvoll damit spielte. Jedenfalls hatte er mehr als nur ein bisschen Ahnung von Musik. Er hatte als Kind Klavierunterricht bekommen, er konnte Noten schreiben und Partituren lesen und spielte in Bern zeitweise als Trompeter in einer Jazzband.

So erstaunt es nicht, dass er auch gar nicht so ungeschickt auf dem Klavier improvisierte. Musik drang aber auch in seine andere künstlerische Arbeit ein. Als Mittelpunkt einer frühen Kinderzeichnung schon erscheint zum Beispiel ein Ohr.

Dieter Roth mit Mauricio Kagel

Bei den späteren Happenings arbeitete Roth häufig mit musikalischen Elementen. Er wirkte auch bei Mauricio Kagels legendärem und skandalerregendem Beethoven-Projekt «Ludwig van» mit und löste dort Beethoven-Büsten in Lauge auf.

Für «Tibidabo Hundezwinger» hat er bei Barcelona 24 Stunden Gebell aufgenommen. «Selten gehörte Musik» nannte sich ein improvisierendes Ensemble, das er mit Künstlerkollegen wie Gerhard Rühm und Oswald Wiener aufzog. Und natürlich ist die Musik Teil seiner Installationen.

Der Musiker Dieter Roth

Ausstellungen

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Kunsthaus Zug : Und weg mit den Minuten – Dieter Roth und die Musik

6. September 2014 bis 11. Januar 2015

Musik-Akademie Basel : «Kann jemand hier Klavier spielen?» – Musik und andere Objekte von Dieter Roth

30. September 2014 bis 31. Januar 2015

Dieter Roth war also nicht nur Künstler, sondern auch «Musiker» – das ist die These, die die Zuger Ausstellung behauptet – beharrlich und auch mit einem Schuss Rothscher Ironie. Entstanden ist sie in enger Zusammenarbeit mit der Musik-Akademie Basel, wo demnächst eine zweite Ausstellung eröffnet. Dort nämlich fand 1977 ein sogenanntes «Quadrupelkonzert» statt, das für Wirbel sorgte.

Ungemein reich ist das visuelle und akustische Material, das in Zug zu erleben ist: Entwürfe und Bücher, die Plattensammlung Roths, grosse Installationen in zwei Bars, deren Geräuschszenerieren sich vermischen; und schliesslich darf man sich auf einer alten Olivetti betätigen, einen Brief schreiben und dabei gleichzeitig Klänge auslösen.

All das atmet noch den Geist der grossen Befreiung, der in Dieter Roths Kunst spürbar ist: Es ist ein paradiesischer Zustand. Wie sagte er doch, als er 1960 erstmals die rostige und lärmige Kunst Jean Tinguelys erlebt hatte: «das war so etwas wie ein Paradies, das ich verloren hatte.»

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