Edvard Munch war zu seiner Zeit ein Skandalkünstler. Ungewohnt offen widmete er sich Themen wie der Sexualität und der Sehnsucht nach Nähe, der Einsamkeit und den Abgründen, die sich zwischen Liebenden öffnen können.
Doch auch die Person Edvard Munchs scheint manchen Zeitgenossen befremdet zu haben. Als er 1922 von Italien nach Zürich reisen wollte, um an der Eröffnung seiner grossen Einzelschau im Kunsthaus teilzunehmen, wurde er von den Polizeibeamten in Mendrisio aufgehalten. Was genau die Beamten veranlasste, den Reisenden zu befragen ist nicht bekannt. Das Ereignis als solches jedoch beeindruckte den damaligen Kunsthaus-Direktor Wilhelm Wartmann so sehr, dass er es sogar im Katalog zur Ausstellung vermerkte.
Munch brachte 1910 die klassische Moderne nach Zürich
Doch nicht nur Edvard Munchs Begegnung mit der Polizei beschäftigte Wartmann und seine Kunsthaus-Equipe. Ganze zehn Jahre stellte Wartmann dem expressiven Norweger nach, bis dieser endlich in einwilligte, in Zürich auszustellen. Für das 1910 eröffnete Kunsthaus Zürich war die Munch-Schau ein grandioser Coup. Es war, laut dem heutigen Kunsthaus-Direktor Christoph Becker, der «Turning Point», der das neue, noch unbekannte Ausstellungshaus zu einem Kunstort mit Ausstrahlung machte: Mit Munch kam die klassische Moderne nach Zürich.
Sendungen zu Edvard Munch
Bis heute fühlt sich das Kunsthaus dem Künstler besonders verbunden. In den Depots des Museums lagert die grösste Munch-Sammlung ausserhalb Norwegens. Ein Teil dieser Sammlung ist nun in einer Jubiläumsschau zum 150. Geburtstag Munchs zu sehen. Doch nicht der berühmte Maler Munch, dessen Motive längst auch auf Poster und Postkarten gedruckt werden, wird hier gewürdigt. Die Zürcher Schau rückt die Grafiken des Künstlers ins Zentrum der Aufmerksamkeit.
Wiedersehen mit bekannten Motiven
«Der Kuss», «Der Schrei» oder die laszive «Madonna», die von zeitgenössischen Betrachtern als obszön und schockierend empfunden wurde, sie alle tummeln sich in der eindrucksvollen Schau. Als kantig-kraftvolle Holzschnitte oder feinlinig nervöse Lithografien. Denn seine Motive hat Munch stets in verschiedenen Techniken bearbeitet. Vom berühmten «Der Schrei» existieren beispielsweise je zwei Versionen in Tempera und in Öl. Und einige Lithografien.
In seinen Grafiken gelingt Munch eine Verdichtung seiner existenziellen Themen. Die Auseinandersetzung mit Ängsten und seelischen Schmerzen gewinnen durch die harten Linien und reduzierten Farben an expressiver Kraft und Dringlichkeit.