Fotografie ist ein schnelles Geschäft. Wenn irgendwo irgendetwas passiert, braucht die News-Maschine Bilder. Und das schnell. Paolo Woods verweigert sich diesem Tempo. Seine Bilder aus Haiti sehen ganz anders aus. Denn er interessiert sich nicht für den News-Stoff, sondern dafür, wie sich die Gesellschaft in einem gescheiterten Staat organisiert.
Der in Italien geborene Fotograf mit holländischen und kanadischen Eltern porträtiert Haiti seit knapp drei Jahren. Dafür besuchte er zum Beispiel die Oligarchen der Insel, darunter viele Unternehmer, wie etwa der ehemalige Polizeichef, der nun seine eigene Kleiderlinie auf den Markt bringt. Er posiert für das Foto in seinem luxuriösen Wohnzimmer – auf einem fetten gelben Motorrad. Die Szene mutet absurd an. Doch durch seine Vielschichtigkeit liefert das Foto kaum Stoff für schnelle Verurteilungen.
Komplexität pointiert vermittelt
Seine Fotos zeigen: Paolo Woods interessiert sich nicht so sehr für die Kategorien gut und böse. Er versucht eher, die komplizierte Situation aufzufächern. Die haitianische Heldenverehrung der Präsidenten etwa ist ein grosses Thema der Ausstellung «State» im Musée de l’ Elysée in Lausanne. So zeigt eines der Fotos einen Männerhals, an dem eine Kette aus Schlüsselanhängern hängt. Jeder zeigt das Gesicht eines anderen haitianischen Präsidenten. Duvalier Vater und Sohn, Jean Bertrand Aristide, Michel Joseph Martelly – ein Collier der Korruption.
Fotografie als Analyse
Die Fotoausstellung in Lausanne macht deutlich, dass Paolo Woods ein Gespür für sprechende Situationen hat, die analytische Bilder ergeben. Das gelingt ihm besonders gut, wenn er sich mit der Macht der Hilfsorganisationen auseinandersetzt. In Haiti sind NGOs an die Stelle der haitianischen Autoritäten gerückt.
Ein Bild zeigt zum Beispiel eine Bettenstation der Hilfsorganisation «Terre des hommes»: Ein dicker, weisser Mann steht in der Mitte und hält ein kleines, unterernährtes schwarzes Mädchen auf dem Arm. Hierarchien sind auf diesem Bild ebenso sichtbar, wie der berührende Idealismus des Mannes.
Die Ambivalenz der internationalen Hilfe ist das Thema vieler Fotos von Paolo Woods. Der Fotograf spinnt das Thema weiter. Den Abgründen der Globalisierung hat Woods seine vielleicht drastischste Serie gewidmet: «Pépé» reiht Portraits aneinander , Menschen aus Haiti in den T-Shirts, die der Westen nicht mehr will. Die Porträtierten tragen alle Secondhand-Klamotten mit dümmlichen Slogans, die einst billig in den Textilfabriken der zweiten und dritten Welt und auch in Haiti hergestellt wurden. Und wieder an ihren Ursprungsort zurückkehren. «I Love NY» ziert die Brust eines armen Bauern. «I Love Pizza» oder «This is my lucky T-Shirt» sind andere, nun zynisch wirkende Botschaften.
Debatten vor Ort
Die Fotos sind geprägt vom Wunsch, zu verstehen, vom Willen, zu erklären und vom Versuch, dabei die Ehrlichkeit und den Sinn für die Nuance nicht zu verlieren. Der Fotograf sagt, das habe er nur geschafft, weil die Menschen in Haiti jede der Geschichten, die seine Bilder erzählen, unerbittlich kommentiert und diskutiert hätten.
Denn Paolo Woods Fotos aus Haiti wurden nicht nur in Europa und den USA publiziert, sondern auch in Haiti selbst: in der Zeitung «Le Nouvelliste».