Welch frappanter Wandel: Von aussen ist sie schlicht und einfach hässlich, die Strohbaracke in Göschenen, in der einst das Futter für Pferde der Schweizer Armee gelagert wurde; drinnen jedoch offenbart sich ein Juwel. Eine Art Kathedrale aus Holz. Die Halle ist leergefegt. Sanft renoviert. Grandios und gross-artig, denn nun wird die Strohbaracke zum Kunsttempel.
Göschenen: ein Ort für Kunst
Der hölzerne Kunstpalast ist im Besitz von Christoph Hürlimann, Geschäftsführer einer Immobilienfirma, passionierter Kunstsammler und Mäzen. Auch das ehemalige Zeughaus, ein paar Meter weiter hinten im Dorf, nennt er sein Eigen. Dort hat er ein Haus für Kunst und Künstler geschaffen: das Kunstdepot. Ein Teil der Räume ist für seine Kunstsammlung reserviert, im Dachgeschoss befinden sich drei Ateliers mit atemberaubendem Ausblick auf die Bergwelt. Internationale Künstlerinnen und Künstler können sich für einen kreativen Aufenthalt bewerben und den Sommer über in der Innerschweiz wirken.
Beide Objekte konnte Hürlimann 2009 erwerben, beide liess er umgestalten, beide sind heute Bijous. «Seit 35 Jahren sammle ich Kunst. Dieser Ort ist ideal für meine Bedürfnisse und Ideen. Für mich ist dies hier ein Kraftort. Jedes Mal, wenn ich herkomme, vibriert alles in mir», sagt Hürlimann.
Ein Angebot aus heiterem Himmel
Für die Ausstellung «dall' altra parte – mit zeitgenössischer Kunst auf den San Gottardo», die das Haus für Kunst Uri ausrichtet, durften jetzt eine Hand voll Schweizer Künstlerinnen und Künstler die Ateliers nutzen. Die Strohbaracke stellt Hürlimann zusätzlich als Ausstellungsraum zur Verfügung. Eine äusserst willkommene Unterstützung. Das Ausstellungsbudget hätte für diese Extravaganzen nicht gereicht.
Barbara Zürcher, Direktorin des Hauses für Kunst Uri und Kuratorin der Sommer-Schau, sagt: «Ich habe Christoph von unserem Projekt erzählt und er hat sich spontan dazu bereit erklärt, für uns die Ateliers viel früher als vorgesehen zu öffnen und den Künstlerinnen und Künstlern die Gelegenheit zu geben, sich vor Ort inspirieren zu lassen, am Fusse des Gotthards reelle Bezüge zu schaffen. Dann sagte er fast nebenbei: ‹Ich hab übrigens noch eine Strohbaracke, die man nutzen könnte›. All das ist ein riesiges Geschenk.»
Aufwändige Installation
Bei der ersten Besichtigung der Strohbaracke dacht Barbara Zürcher sogleich an das Künstlerduo Lutz&Guggisberg . Die beiden, die seit 20 Jahren gemeinsame Sache machen, wurden nach Göschenen geladen. Im Nu war Andres Lutz und Anders Guggisberg klar: Diesen Raum wollen wir solo bespielen.
In ihrem Atelier in der Nähe von Zürich baute das Duo skizzenmässig eine Installation auf – wie gewohnt mit einer Masse an Ware: Holzfiguren aus Brockenhäusern, die in ihren Arbeiten stets prominent vertreten sind, Skulpturen, Tonmännchen, ein Lattenlager. All das wird zu einem monströsen Zug aufgereiht. Ein metaphorischer Stau. Auf den ersten Blick ist das unvollendete Werk ein Sammelsurium. Auf den zweiten eine witzige, hintergründige, assoziative Auseinandersetzung mit der überbeanspruchten Nord-Süd-Verbindung.
Mit Lastwagen nach Göschenen
«Uns geht es um Transformation beim Betrachter: Aus einem Lattenlager wird vielleicht ein 40-Tönner. Aus afrikanischen Figuren plötzlich eine wartende Schlange», erklärt Anders Guggisberg. Auch die Flüchtlingsproblematik klingt also an. Hinzu kommen Videoprojektionen, die in der Strohbaracke mit ihren alten Holzbalken einen ganz eigenen Charme entwickeln dürften. Das Material wird jetzt mit Lastwagen nach Göschenen transportiert. Wie die raumfüllende Installation am Ende ausschauen wird, soll der Moment vor Ort entscheiden. Spontaneität und Improvisation sind gefragt.
Mäzen Christoph Hürlimann ist gespannt auf den Soloauftritt von Lutz & Guggisberg. Das Künstlerduo freut sich auf die Göschener Holzkathedrale und fügt grinsend hinzu: «Am meisten würden wir uns natürlich freuen, wenn Christoph Hürlimann von unserer Installation dermassen begeistert wäre, dass er sie gleich kauft.»