«Die Zukunft gehört den Artonomisten», sagen die Zwillinge Frank und Patrik Riklin. Die beiden St. Galler Konzeptkünstler haben ein neues Berufsfeld geschaffen, in dem sich der Künstler auch als Unternehmer versteht. In dem der Künstler wirtschaftet – und umgekehrt. Und damit auch offen umgeht.
In ihrem «Atelier für Sonderaufgaben», das sie 1999 gründeten, kümmern sich die Brüder um unkonventionelle Kunst – um Aufgaben, «für die sich sonst niemand zuständig fühlt». In kahlen Räumen und abgeschlossenen Vitrinen hat ihre Kunst keinen Platz. Sie soll raus ins Leben – ist da, wo man sie am wenigsten erwartet. Beispiele aus dem Schaffen der Künstler-Zwillinge.
1. Hotel unter Himmel
Ein Tapetenwechsel kann kaum schöner sein: Im «Null Stern Hotel» nächtigen Gäste unter freiem Himmel. Für 250 Franken kann man es sich im Bündner Safiental auf 1800 Meter über Meer gemütlich machen. Das Projekt ist die «Landversion» der «Bunkerversion», die die Künstlerbrüder 2008 lancierten und die weltweit für Aufsehen sorgte. Die Bunkerbetten von damals liegen heute in der Landschaft. Mit ihren «Null Stern Hotels» geben die Riklins dem Luxus einen neuen Raum, in dem der Gast – neben denen am Firmament – der einzige Star ist. Das Projekt wurde ihm Rahmen der Freilichtausstellung «Art Safiental», Link öffnet in einem neuen Fensterim Browser öffnen, die bis 16. Oktober läuft, lanciert. Weitere freiliegende Betten in Schweizer Tälern sind geplant.
2. Picknick – ganz gross
Zu klein, um gemütlich zu sein: Die Picknickdecke wird nicht selten zur romantisch kuscheligen Kampfzone. Schluss mit knappen Decken machten die Riklins 2013 – und machten mit «Bignik» aus klein ganz gross. Tücher und Unterstützung kamen aus der Bevölkerung. So gross wie zwei Fussballfelder war das erste «Bignik» – 100 Fussballfelder gross soll es bis 2043 werden – mit 252‘140 Tücher von 252‘140 Bewohnern. Das «Bignik» entstand im Auftrag mit der «Regio St.Gallen» – eine Marketingorganisation aus 44 Gemeinden. Das Projekt knüpft an St. Gallern Textiltradition an und bringt seine Bevölkerung auf einer Picknickdecke zusammen. Lokale Kunst – geschickt eingefädelt.
3. Der moderne Trinkbrunnen
Der Dorfbrunnen ist nicht mehr das, was er mal war. Früher Quell der Begegnung, dient der Brunnen heutzutage höchstens sporadisch als Durstlöscher. Einen innovativen Brunnen im alten Sinne montierten Frank und Patrik Riklin im Areal der Zürcher Genossenschaft «Mehr als Wohnen». Sie installierten einen Getränkeautomaten, der schnell zum Treffpunkt für Jung und Alt wurde. Wieviel Flüssiges aus dem Automaten sprudelt, liegt in den Händen der Anwohner. Wenn sie beispielweise zum Quartiertelefon greifen und einem Fremden anrufen, füllt sich der Automat – sonst versiegt er. Das Buch «Social Urban Zone» dient den Anwohner zur Anleitung. Der Brunnen, der beinahe wegen Lärmklagen trocken gelegt wurde, soll nicht der einzige seiner Art bleiben: Die Riklins arbeiten künftig mit dem Winterthurer Immobilienunternehmen Senn zusammen.
4. Auf Fliegenfang
Eigentlich sollten die Künstler im Auftrag Reckhaus und Co., einer Insektizidfirma, die Einführung einer neuen Fliegenfalle begleiten. Doch statt Fliegen in die Falle zu locken, kam den Riklins eine rettende Idee. In einer eintägigen Aktion forderten sie die Bewohner von Deppendorf auf, Fliegen zu retten – 901 Exemplare wurden gesammelt. Unter den Rettern wurde ein Wellnesswochenende verlost – und mit ihnen gemeinsam flog «Fliege Erika» als erste Fliege mit Flugticket nach München.
Die Aktion hatte «Respect Insect» zur Folge: Ein Gütelabel, das dafür steht, dass pro Anzahl toter Fliegen eine Ausgleichsfläche mit optimalen Lebensbedingungen für Fliegen geschaffen wird. Mit «Fliegen retten», einem cleveren Zusammenspiel zwischen Kunst und Marketing, machen die Riklins Fliegenleben wertvoll und einen Insektenkiller zu Insektenretter – und schlagen so zwei Fliegen mit einer Klappe. Fliege Erika wurde übrigens in der Uni St. Gallen unter viel Medienpräsenz beigesetzt – und liegt nun als Fliegengewicht neben Arbeiten von Arp, Miró und Richter in der Sammlung.5. Quatschen als Quelle
Benzin reicht nicht. Dieses Auto kommt nur so richtig in Fahrt, wenn seine Fahrgäste «quatschen». Statt zu bezahlen, müssen die Fahrgäste im gelbgrünen «Quatschmobil» miteinander sprechen, um weiterzukommen. Gefahren werden sie dabei von der Bevölkerung. Pro zehn Kilometer Fahrt wird in der Stadt eine Aktion ausgelöst – zum Beispiel eine gratis Pizza vergeben. Kommunikation als Energiequelle: Mit ihrem Projekt wollen die Riklins die Bevölkerung zum Reden bringen, ergründen, was sie bewegt, was sie ändern wollen. Das ist «kein Quatsch, sondern ernst gemeint», wie die Künstler sagen. Stadtentwicklung – clever ins Rollen gebracht. Das «Quatschmobil» fährt zurzeit in Düsseldorf – als Teil der Ausstellung «Planet B – 100 Ideen für eine neue Welt», Link öffnet in einem neuen Fensterim Browser öffnen der NWR-Forums.