Christian Labhart, Ihren Film «Giovanni Segantini – Magie des Lichts» haben in der Deutschschweiz über 55'000 Menschen gesehen. Ein erstaunlicher Erfolg für einen Kunstdokumentarfilm. Hat Sie das überrascht?
In diesem Ausmass sehr, denn er ist sogar der erfolgreichste Dokumentarfilm des ganzen Jahres, obwohl er im Juni startete, zu Beginn der Sommerflaute. Ich war aber immer überzeugt, dass ein Film zu Segantini sein Publikum findet.
Warum wollten Sie einen Film zu Segantini machen?
Primär wegen seiner Bilder, die ich seit über 30 Jahren kenne. Mich faszinieren nicht nur die Berge, sondern ebenso die Menschen – meist einfache Bauern oder Handwerker bei der Arbeit –, die in die Landschaften integriert sind.
Dann auch seine Wahnsinns-Biografie: Mit sechs Jahren wird Segantini Vollwaise. Er streunt in den Strassen von Mailand herum, sucht in Mülltonnen nach Essbarem. Dann wird aus ihm ein genialer Künstler. Der dann aber sehr früh stirbt, bereits mit 41 Jahren, auf 2700 Metern Höhe, da, wo er immer hin wollte. Dieses Leben ist geradezu prädestiniert für einen Film.
Reizte Sie auch der Aspekt, dass Segantini zeitlebens ein Sans-Papiers war?
Ja. Segantini konnte deswegen nicht heiraten und hat bis zu seinem Ende in wilder Ehe gelebt. Er war eine extreme, schillernde Figur: Einerseits ein Revoluzzer, der aber gleichzeitig einen aufwändigen Lebensstil pflegte und sich auch einmal Hummer und Lachs hoch nach Maloja bringen liess. Dann war er ein spiritueller Mensch, das sieht man in seinen Bildern. Aber er ging nie in die Kirche – eine Provokation im damaligen 19. Jahrhundert.
Sie haben eine ungewöhnliche Form gewählt, um seine Geschichte zu erzählen: Sie verzichten komplett auf einordnende Kommentare. Warum?
Ich entdeckte seine autobiographischen Texte, und viele Briefe. Ich war verblüfft ob ihrer Poesie, auch wenn sie für heutige Ohren etwas pathetisch klingen. Ich fällte die radikale Entscheidung, keine Interviews mit Kunsthistorikern und Nachkommen zu machen. Stattdessen sollte Bruno Ganz Segantinis eigene Texte lesen, ergänzt von Auszügen aus einem biografischen Roman von Asta Scheib, gelesen von Mona Petri.
Ich wollte den Film reduzieren auf diese Texte, auf sein Werk, auf Kameraimpressionen von Pio Corradi an Segantinis Wohnorten und Musik von Paul Giger. Sie alle sollten ihren ganz persönlichen Zugang zu ihm entwickeln und nicht einfach nur Texte, Bilder und Musik liefern.
Eine solche Reduktion auf seine Werke, Orte und Originaltexte birgt die Gefahr, dass der Film etwas gleichförmig wird. Hatten Sie diese Befürchtung?
Dieses Konzept war die logische Entwicklung aus fünf Jahren Arbeit. Mein Projekt wurde mehrmals vom Bundesamt für Kultur und der Zürcher Filmstiftung abgelehnt. Es hiess, dem Film fehle das Publikumspotenzial. So wurde mein anfangs konventionelles Konzept immer radikaler. Heute bin ich fast froh, dass es so kam. Schlussendlich erklärte sich SRF bereit, den Film für eine Fernsehfassung mitzufinanzieren, dann sogar für eine Kinoversion.
Nur Segantini selber das Wort zu geben, bedeutete auch, dass keine kritische Auseinandersetzung mit ihm möglich ist. Wollten Sie das gar nicht?
Ich liebe Segantini und wollte primär eine Hommage an ihn machen. Ich muss nicht krampfhaft dunkle Flecken suchen. Und wenn keine Experten erklären, müssen die Zuschauer ihre eigenen Schlüsse ziehen.
Ich konnte ja bei den Texten durchaus eine Wahl treffen. Beispielsweise sagt Segantini einmal, dass die Frauen nur noch eitle Puppen und damit keine rechten Mütter mehr seien. Diese Aussage fand ich ziemlich schräg, wollte sie aber in den Film nehmen, so dass sich die Zuschauerinnen und Zuschauer ihr eigenes Bild machen können.