Paris, um 1900. Von überall her kommen junge Künstler in die Stadt, unter ihnen Picasso, Apollinaire, Matisse, Sartre, Dalí. Denn nirgends lebt es sich damals so frei wie in Paris. Die Künstler begegnen sich, einige ziehen zusammen in eine ehemalige Klavierfabrik am Montmartre. Sie sind hungrig und kühn, sie gehen zusammen durch Höhen und Tiefen. Und sie markieren mit ihren Werken die Geburt der Moderne.
Saga zur Entstehung der modernen Kunst
Das alles erzählt der französische Schriftsteller Dan Franck in seinem Wälzer «Le Temps des Bohèmes». Er zeigt: Das Neue entsteht nicht an Kunstschulen. Sondern in unbeheizten Dachzimmern, bei Wortgefechten in Cafés, im Taumel leidenschaftlicher Affären.
Dan Francks dokumentarische Erzählungen setzen ein in der Aufbruchstimmung um 1900 und enden mit der Ernüchterung des Zweiten Weltkriegs. Ein Saga, die sich über 40 Jahre spannt. Sie bietet sich für eine Verfilmung geradezu an.
Ein Film ohne Bilder?
Das sagten sich vor drei Jahren auch drei französische Produzentinnen. Doch da war ein Problem: «Von Künstlern wie Picasso, Max Jacob oder Apollinaire gibt es als 20-Jährige, als sie am Beginn ihrer Karriere stehen, praktisch keine Bilder», sagt Judith Nora, eine der Produzentinnen. Heute sind uns die Künstler zwar alle ein Begriff. Aber damals waren sie jung und unbekannt.
Wie also soll man die Geschichte filmisch zeigen, wenn keine Bilder vorhanden sind? Die Produzentinnen stossen auf die junge Zeichnerin Amélie Harrault. Harrault hat gerade ihren ersten Kurzfilm fertig und dafür den César gewonnen, den französischen Oscar.
Ein poetischer Blick
Die vier Frauen haben eine Idee: Wieso nicht die Kunstgeschichte mit Animationen wieder lebendig werden lassen? Sie entscheiden sich, historisches Material und Zeichnungen miteinander zu verbinden. Beide zusammen geben einen neuen Blick auf die aufgewühlte Zeit damals: Die Archive rufen Erinnerungen wach, machen die Atmosphäre wieder spürbar.
Und die Animationen zeigen die Künstlerpersönlichkeiten in einem neuen Licht. «Die Animation hat die Kraft, etwas wachzurufen. Verschiedene Techniken ermöglichen auch einen neuen Blick, einen poetischeren, einen persönlicheren», sagt die Zeichnerin Amélie Harrault.
Die Fakten stimmen
Zusammen mit einem Team zeichnet Amélie Harrault über 1200 Animationen, Valérie Loiseleux und Pauline Gaillard verweben diese immer wieder neu mit Archivaufnahmen. Die Zeichnerinnen arbeiten am Computer, auf Papier, auf Glas, sie basteln Marionetten.
Und sie entwickeln sich immer weiter. Sie reifen – ähnlich wie die Künstler im Film: «Zu Beginn zeichneten wir mit einer Frische und Leichtigkeit, auch mit einer gewissen Naivität», sagt Amélie Harrault. Doch je länger sie zeichnen und je stärker sich im Film die Weltlage Richtung Faschismus verdüstert, desto entschiedener und realistischer werden ihre Zeichnungen.
Das Erzählte sollte immer den Fakten entsprechen. Deshalb haben die Filmemacherinnen jedes Detail recherchiert, haben Historiker und Kunstexpertinnen befragt. Für jedes Kunstwerk, das sie im Film darstellen, brauchten sie die Genehmigung des Rechteinhabers. Eine Herkulesaufgabe, die drei Jahre in Anspruch nahm. Es hat sich gelohnt: Für uns Zuschauer öffnet sich eine neue, verblüffende Sicht auf die Geburt der Moderne.