Beyoncé hat am Wochenende ein neues Album veröffentlicht. Wie bereits ihr letztes Album erschien «Lemonade» ohne Vorankündigung. Plötzlich war es da. Anstelle von Musikvideos wurde es dieses Mal zusammen mit einem ganzen Film herausgebracht. Ein audiovisuelles Gesamtkunstwerk. Darin geht es um die Geschichte einer betrogenen Frau, um die Rechte von Frauen, von Schwarzen, um Wut und Hilflosigkeit. Alles sehr persönlich, «ein Fenster in die Seele einer Ikone, die immer zu distanziert schien», wie der «New Yorker» schreibt.
Frappante Ähnlichkeit zur Videokunst von Rist
Wie bereits Beyoncés letzte Videoclips, ist auch «Lemonade» voll von Referenzen – von Malcolm X, der somalisch-britischen Dichterin Warsan Shire bis zu Regisseur Terrence Malick. Und eben: Pipilotti Rist. Eine Szene aus dem Film hat frappante Ähnlichkeit mit Rists Video «Ever is Over All» aus dem Jahr 1997. Eine junge Frau läuft im Zeitlupentempo einem Trottoir entlang und schlägt mit einem Blumenstängel Autoscheiben ein. Als wäre es das Normalste der Welt.
Der Baseballschläger ist die Message
Auch Beyoncé lässt in «Lemonade» die Autoscheiben klirren – nicht mit einer Blume, dafür mit einem Baseballschläger. Dennoch seien die Ähnlichkeiten verblüffend, findet Mirjam Varadinis, die Kuratorin der aktuellen Pipilotti-Rist-Ausstellung im Kunsthaus Zürich. «Sowohl im Rhythmus, wie sie geht – sie hat denselben hüpfenden Gang, leicht wippend – als auch das Kleid, das sie trägt. Aber vor allem der Ausdruck im Gesicht und in der Haltung.» Dass Beyoncé mit dem Baseballschläger statt mit einer Blume die Scheiben zertrümmere, mache durchaus Sinn, findet Varadinis: «Beyoncé hat eine klare Message: Die Frau, die sich befreit. Und dieser Befreiungsschlag wird eindeutig dargestellt. Da braucht es einen Baseballschläger.»
Natürlich gibt es diese feministische Leseart auch bei «Ever is Over All» von Pipilotti Rist. Aber eine klare Message herauszulesen, sei bei ihr nicht möglich, sagt Varinidis: «‹Ever is Over All› ist ein Werk bildender Kunst und kein Music-Clip. Es reiht sich in einen ganzen Werkkomplex ein. Das hat verschiedene Lesarten. Und will unbedingt die Interpretation offen lassen.»
Eher Appropiation als Klau
Kann man das nun als Hommage bezeichnen? Oder hat letztendlich Beyoncé doch Pipilotti Rist beklaut, wie Watson titelt? Mirjam Varadinis sieht das nicht so: «Ich weiss nicht, ob es wirklich klauen ist. Umgekehrt gibt es ja auch bildende Künstler, die Zitate aus der Popgeschichte nehmen und damit arbeiten. Das nennt sich dann ‹Appropriation› und nicht klauen. Ich finde es eigentlich ganz schön und auch spannend, dass gerade bei Pipilotti Rist, bei der die Popkultur eine wichtige Rolle spielt, das Schaffen wieder in die Popwelt zurückfliesst.»
Sendung: Radio SRF 3, 26.4.2016, 11.10 Uhr.