Am Ende überzeugte die Jury des «Net Based Award» (siehe Textbox) ein Projekt, das die Grenze zwischen realem und virtuellem Geschehen auslotet:
Die Künstler-Gruppe RYBN.ORG entwarf für das Projekt «ADM XI» widersinnige Handelsalgorithmen, die einander auf einem fiktiven Online-Markt konkurrenzieren.
Die Algorithmen richten sich beim Spekulieren und Anlegen des Geldes nicht an Preisen aus, sondern etwa an Lebewesen, esoterischen Zahlenreihen oder übernatürlichen Phänomenen. Ziel des Kunstprojektes ist es, dadurch das neoklassische Wirtschaftsdogma zu hinterfragen.
In der Jury sass auch die HeK-Direktorin Sabine Himmelsbach. Wir sprachen mit ihr über eine junge Kunst, die nicht im Museum, sondern im Netz stattfindet.
SRF: Wenn wir an Kunst denken, findet sie in unsere Vorstellung meist eher Offline statt – wir stellen uns etwa eine Ausstellung in einem Museum vor. Welchen Stellenwert hat Netzkunst innerhalb der Kunstszene?
Sabine Himmelsbach: Kunst, die das Internet als Inspirationsquelle nutzt und deren Projekte im Netz verortet sind, wird immer zentraler. Mit dem «Net Based Award» wollen wir auf diese zunehmende künstlerische Praxis aufmerksam machen und ihr eine Plattform bieten.
Beobachten Sie innerhalb der Netzkunst aktuelle Trends?
Es gibt einen grossen Pluralismus. Was aber ein durchgängiges Thema ist, sind infrastrukturelle Fragen, etwa: Wer hat Zugang zum Netz? Die zunehmende Monopolisierung durch grosse Internetfirmen beschäftigt die Netzkunst – viele Künstler entwickeln Projekte, die das unterlaufen.
Das Schöne bei den Nominierten für den «Net Based Award»ist, wie unterschiedlich die Zugänge sein können. Bei der Arbeit von Rosa Menkman geht es um Algorithmen, um abstrakte Verfremdungen. Das Projekt von Michael Mandiberg ist dagegen sehr politisch und beschäftigt sich mit dem Thema der Finanzkrise.
Es geht um eine Entgrenzung und Auflösung von herkömmlichen Kategorien.
Spannend erscheint mir auch die Arbeit von Jonas Lund und Evan Roth, wo es um Fragen der Infrastruktur geht. Oder um noch ein Schweizer Beispiel zu nennen: Marc Lee, dessen Arbeit das Publikum als virtuelle Realität erfährt, wobei die Daten in Echtzeit eingespielt werden. Auch hier ging es um eine Entgrenzung und eine Auflösung von herkömmlichen Kategorien.
Viele Projekte thematisieren das Internet selbst. Inwiefern ist Netzkunst gegenüber dem technologischen Wandel besonders kritisch?
Netzkunst war schon immer kritisch, weil sie sich ja auch intensiv mit der Distributionsplattform Internet auseinandersetzt. Seit Beginn des Internets gab es Kunst, die im Netz stattgefunden und diese Entwicklung begleitet hat.
Ich denke an «My Boyfriend Came Back from the War», das wir letztes Jahr im HeK zeigten: Eine zentrale Pionierarbeit der russischen Künstlerin Olia Lialina, die 1996 online ging und auch heute noch im Netz ist. Man sieht daran auch die technologischen Entwicklungen: Es gab in den 1990er-Jahren plötzlich Bewegtbild, mit Flash, man konnte auch Audio einbinden.
Das Internet ist ein grosser Supermarkt der Dinge.
Betrachtet man die Netzkunst, die in den 1990er-Jahren entwickelt worden ist, sieht man, dass das Internet zuerst als grosse Utopie verstanden und gelebt wurde. Später begleitete die Kunst dann auch die Frustration, die eingesetzt hat, als man realisierte: auch hier geht es um Konsum. Das Internet ist ein einziger grosser Supermarkt der Dinge.
Sehr viele der Netzkunstwerke arbeiten mit vorgefundenem Material, also Bildern und Texten, die sie im Internet sammeln – eine Art Readymade?
Was ich interessant finde, ist zu zeigen, dass es für die Künstler diese Trennung von On- und Offline-Sphäre gar nicht mehr gibt. Sondern dass diese junge Generation von Künstlern ganz selbstverständlich auf Material aus dem Netz zurückgreift, und sich auch selbst auf sozialen Plattformen mit anderen austauscht.
Es gibt keine Trennung mehr von realem und virtuellem Raum, das Netz wird schon immer mitgedacht. Das spiegelt auch unsere Alltagserfahrung: Wenn wir mit Handy unterwegs sind, interagieren wir permanent mit dem Virtuellen.
Netzkunst erscheint flüchtig. Kann man sie trotzdem kaufen und sammeln?
Ja – da gibt es unterschiedliche Strategien. Manche Künstler wie Rafaël Rozendaal verkaufen ihre Domains und der Name des Sammlers wird dort eingeblendet.
Auch wir als Museum übernehmen Domains: Das HeK hat eine eigene Sammlung, deren Fokus auf netzbasierter Kunst liegt. Hier übernehmen wir die Verpflichtung, diese Kunst für ein Publikum zugänglich zu machen und am Leben zu erhalten.
Die Projekte bleiben zwar im Netz. Für die Konservierung müssen aber Browseranpassungen gemacht werden, damit eine Arbeit auch Jahre nach ihrer Entstehung nochzu sehen ist.
Das Gespräch führte Mirja Gabathuler.
Virtuelle Städte, ein Stein und ein Schmetterling – das waren die übrigen Nominierten für den «Net Based Award»:
10.000 moving cities – same but different (4, 2016) von Marc Lee
Der Schweizer Künstler Marc Lee hat eine Virtual-Reality-Installation geschaffen. In Echtzeit werden dabei Bilder und Töne aus einzelnen Städten – gesammelt aus sozialen Netzwerken wie Flickr, YouTube und Twitter – auf weisse Kuben projiziert. Mit der VR-Brille kann der Betrachter eintauchen.
Link zum Projekt «10.000 moving cities»
Keep Alive (2015) von Aram Bartholl
In einem Wald in Norddeutschland liegt ein Stein, Besucher sollen davor ein Feuer entfachen. Über die Hitze wird ein WLAN-Router im Inneren des Steins aktiviert, der Survival-Guides aufs Smartphone schickt. Der Name «Keep Alive» spielt darauf an, das vernetzte Geräte permanent inhaltslose Nachrichten hin und her schicken.
Clichés (2014) von Émilie Brout und Maxime Marion
Klischeebehaftete Bildern aus der Google-Suche treffen auf den berüchtigten «Fuck you»-Monolog, der Edward Norton im Film «25 Stunden» von Spike Lee hält: eine Hasstirade auf New York City und seine Bewohner. Der dadurch entstehende Film ist nie gleich, denn jedes Schlüsselwort wird in Echtzeit in Bildern aus dem Netz übersetzt.
Link zum Projekt «Clichés»
General Intellect (2015) von James Coupe
James Coupe bezahlte Mitarbeiter eines Amazon-Unternehmens dafür, jede Stunde ein einminütiges Video hochzuladen, das ihren normalen Arbeitstag dokumentiert. Entstanden ist daraus eine Datenbank mit Tausenden Videos: ein Porträt der sonst anonymen Arbeiterschaft im Netz.
Link zum Projekt «General Intellect»
FDIC Insured (2008 – 2016) von Michael Mandiberg
Michael Mandiberg begann nach der Finanzkrise 2008, die Logos der über 500 Banken herunterzuladen, die während der Finanzkrise Insolvenz anmeldeten und deren visuelle Identitäten dabei dauerhaft aus dem Netz verschwanden. Auf einer Plattform sind sie nun wieder aufrufbar.
Link zum Projekt «FDIC Insured»
Fair Warning (2016) von Jonas Lund
Vier Sekunden hat man Zeit, dann ploppt die nächste irrsinnige Frage auf dem Bildschirm auf: Das Webprojekt «Fair Warning» ist eine ironische Antwort auf die Vermessung unserer Vorlieben durch Online-Umfragen und -Tests oder durch die Auswertung unseres Social-Media-Verhaltens.
Link zum Projekt «Fair Warning»
Landscapes (seit 2014) von Evan Roth
Evan Roth besucht Orte, an denen Internet-Glasfaserkabel, die auf dem Grund des Meeres verlegt wurden, an Land kommen. Dort entstanden mit einer Infarot-Kamera Videos. Roth stellt sie Online – ihre URL entspricht den GPS-Koordinaten des Entstehungsortes.
Vlinder (2014) von Niko Princen
«Vlinder» heisst auf holländisch Schmetterling: Hat man etwas Geduld, fliegt dieser in der gleichnamigen App über das Kamerabild des Smartphones. Und verschwindet gleich wieder – zum geographisch nächsten Smartphone mit «Vlinder».
Ein Netzwerk von unbekannten App-Nutzern hält gemeinsam den Schmetterling am Leben und legt seine Route fest.
Link zur Homepage von «Vlinder»
DCT:SYPHONING (2015-2016) von Rosa Menkman
Was passiert, wenn eine satirische Novelle aus dem 19. Jahrhundert auf einen Algorithmus trifft, der eigentlich der Bild-Kompression dient? Rosa Menkman schafft daraus ein Video in 3D, das wie eine psychadelische Reise durch verzerrte geometrische Landschaften anmutet: