Weit weg, auf einem Hügel, steht die denkmalgeschützte Antenne, filigran wie ein kleiner Eiffelturm Erste Erkenntnis: Der Landessender Beromünster liegt nicht in Beromünster. Er liegt in Gunzwil.
Es riecht nach Heu an der Bushaltestelle. Ein Traktor fährt vorbei, und ich frage einen Bauern, der gerade aus dem Stall kommt, nach dem Weg. Er führt über Maisfelder, an einem Wald vorbei. Dann kommt mir Werner Zihlmann alias Wetz entgegen. Er ist Künstler und Leiter des KKLB (kurz für: Kunst und Kultur im Landessender).
Ein Fünfliber für den Landessender
Wetz führt mich in das weitläufige Areal, das früher, als hier noch Radio gemacht wurde, streng abgeriegelt war. Heute befinde sich hier das «mit Abstand grösste Kunsthaus der Schweiz», sagt Wetz und lässt im Sekundentakt weitere Superlative folgen: Nirgends auf der Welt gebe es ein so grosses Sendegebäude, die Architektur sei «ein Wunder».
Er habe es selbst kaum glauben können, als er den Landessender 2008 zum symbolischen Preis von fünf Franken von der Swisscom kaufen konnte. Seither bespielt er mit seinem Team die gesamte Anlage als Gesamtkunstwerk. Er finanziere das Projekt aus eigenen Mitteln, denn: «Ich bin ein erfolgsverwöhnter, international arbeitender, überbezahlter Künstler».
Grössenwahnsinn oder genial?
Nach einer verwirrenden Viertelstunde weiss ich nicht, ob Wetz grössenwahnsinnig oder genial ist, was er ernst meint und was als Persiflage auf den Kunstbetrieb. Zwei Stunden später ist es mir egal.
Denn Wetz ist ein begeisternder Erzähler, der dazu verführt, die gewohnte Welt mit neuen Augen zu sehen. Kunst auf dem Land zu vermitteln, ist für ihn kein Problem, denn: «Wir sind im Zentrum, alle anderen sind abgelegen.»
Ein Betten-Meer mit lautem Föhn
An Besuchern mangle es dem KKLB nicht. Die ersten 10’000 Neugierigen seien bereits im ersten Jahr gekommen, als noch gar keine Kunstwerke zu sehen waren. Heute sind Installationen und Skulpturen in der gesamten Anlage verteilt.
Zuerst führt mich Wetz «ans Meer», wie er sagt. Es liegt in einem hellen Saal, der die klare Schönheit der Bauhaus-Architektur atmet. Im Saal stehen 56 Betten bereit, auf jedem Nachttisch liegen Kopfhörer, ein Föhn und ein Duftgerät.
Ich schlüpfe unter eine Decke, höre Wellenrauschen. Wetz spricht Texte ins Mikrophon, die in einem Moment nach esoterischem Entspannungs-Sound klingen, und im nächsten pustet mir ein nervtötend lauter Föhn ins Gesicht. «Der warme Wind des Südens», sagt Wetz mit diebischer Freude.
Leichtigkeit trifft auf Nachdenklichkeit
Wetz liebt die produktive Verwirrung, er spielt mit Erwartungshaltungen. Doch die Leichtigkeit sollte nicht über die Nachdenklichkeit seiner Werke hinwegtäuschen.
Das Leitmotiv der Ausstellung in diesem Jahr lautet «Pause». Und das hat nichts Gemütliches, wie eine andere Installation von Wetz zeigt: Ein zierliches Klavier, dessen Tasten mit Nägeln fixiert sind – ein Anblick, der weh tut.
«Pausen sind nicht immer positiv», sagt er dazu. «Für Asylsuchende, die nicht arbeiten dürfen, sind Pausen nicht angenehm. Und wenn eine Bauernfrau, die ihr Leben lang gearbeitet hat, ins Altersheim kommt, fällt es ihr schwer, die Hände in den Schoss zu legen.»
Atmosphäre des Überlebens
Das ländliche Leben ist Wetz aus seiner Kindheit vertraut. Er sei ein untypischer Künstler, aufgewachsen in einer Grossfamilie hinten im Tal. «Das war keine Atmosphäre der Kunst, sondern des Überlebens. Man hat die Cervelats gerochen, aber gegessen hat sie der Vater.»
Geschichten aus seiner Kindheit inszeniert er in einer scheunenfüllenden Installation. «Zihlenfeldlöchli» heisst dieses opulente Werk, das alleine schon die Reise zum Landessender wert ist.
Brodelnde Erinnerungsoper
Alles wimmelt und bewegt sich, ein ausgestopftes Eichhörnchen kreist zu Walzerklängen auf einer Bohrmaschine, aus einem Weiher steigt ein Heissluftballon, eine Schwalbe fliegt durch den Raum und ein alter Fernseher überträgt direkt, was geschieht.
«Wir hatten zu Hause ein Gerät, aber keinen Empfang, nur manchmal sah man kurz das Gesicht einer Nachrichtensprecherin vorbeiflimmern.» Alles in diesem faszinierenden Raum hat einen Bezug zur Kindheit von Wetz, eine brodelnde Erinnerungsoper, in der ich mich fühle, wie in einem seltsamen Traum. Nur ungern erwache ich aus dieser Gegenwelt im früheren Landessender, auf dem Weg über die Felder zurück zum Postauto.