Es war der Skandal des Jahres: Der US-Amerikanische Künstler Richard Prince brachte im September 2014 seine neuesten Bilder auf den Markt. Prince gilt als «Blue-Chip-Artist», seine Werke werden zu hohen Preisen gehandelt. Und seine neuesten wurden für bis zu 90'000 Dollar verkauft.
Das produzierte Aufregung: Denn Prince hat die Bilder, die er verkaufte, gar nicht selbst gemacht. Er hat sie als Screenshots bei Instagram abgeholt, genauer: Prince kopierte erotische Selfies, die junge Frauen im Channel «Suicide Girls» bei Instagram gepostet hatten. Der Stein des Anstosses: Die Selbstporträtmacherinnen sahen von den 90'000 Dollar keinen Cent.
Einen Nerv getroffen
Spätestens hier stellt sich die Frage: Wo hört die Kunst auf und fängt der Diebstahl an? Über das jüngste Werk von Richard Prince wurde intensiv debattiert, die Erregungskurve stieg stetig, Richard Prince hatte mit seiner Arbeit einen Nerv getroffen.
Søren Grammel, Leiter des Museums für Gegenwartskunst in Basel, zeigt derzeit eine Ausstellung zum Thema Aneignung. Und vergleicht die Arbeit von Prince mit Arbeiten von Andy Warhol, der Fotos von Autounfällen aus der Zeitung für seine Siebdrucke weiterverwendete und zu Höchstpreisen verkaufte.
Eine uralte künstlerische Praxis
Wer will, kann durchaus noch weiter als in die 1960er-Jahre zurückgehen. Bereits in der Spätantike wurde Aneignung als kreative Strategie genutzt. Der Dichter Ausonius verfremdete im 3. Jahrhundert durch eine Art Cut-up-Technik avant la lettre Vergils «Aeneis».
Ausonius zitiert den kanonischen Text in Halbversen, die er allerdings neu zusammensetzt. Und macht so aus einem heroischen Epos ein teils durchaus schlüpfriges Gedicht, das seine Zeitgenossen amüsiert haben muss, haben die den Kontextwechsel der berühmten Vorlage doch sicherlich bemerkt.
Musikalische Diskurse
Beitrag zum Thema
Auch in der Musik ist Aneignung präsent. Spätestens mit den kommerziellen Erfolgen des Hip-Hops wurden Urheberrechtsklagen gang und gäbe, wenn Samples aus bereits bestehenden Musikstücken ohne Erlaubnis weiterverwendet wurden und Beatmaterial für neue Hits lieferten.
Doch werden in den derzeit laufenden Musikdebatten um «Cultural Appropriation» – kulturelle Aneignung – auch sehr viel moralischere Positionen verteidigt als die Wahrung der Urheberrechte. In Diskurskreisen der «Critical Whiteness» steht fest: Privilegierte Weisse aus der Mittelschicht dürfen sich Sounds fremder Kulturen nicht aneignen, weil sie diese sowieso nur kommerzialisieren beziehungsweise daraus rassistische Stereotype ableiten. Betroffen sind von diesem Rigorismus auch Superstars wie Katy Perry.
Aneignung nicht unbedingt kritisch
Aneignung ist nicht davor gefeit, die Kulturindustrie zu bedienen. Aber, um auf Richard Prince zurückzukommen, ihren Wert bekommen die Selfies der «Suicide Girls» nicht dadurch, dass Prince ihre Selbstporträts weltweit bekannt machte. Ihren Wert erhalten diese Bilder, weil durch Princes Aneignung im Kunstkontext über die Selfiemania nachgedacht werden kann.
Und weil man die Frage nach den philosophischen, psychologischen oder pathologischen Gründen des digitalen Exhibitionismus stellen kann: Warum zeigen Menschen so private Bilder in den Massenmedien der Sozialen Netzwerke? Und warum regen sich alle darüber auf, wenn ein Künstler darauf hinweist, dass die Urheberrechtsfrage in sozialen Netzwerken mehr als düster ist? Denn: Wer postet, tritt sein Urheberrecht ab.