Zuerst fällt ein grosses Graffito auf. Ein Schiff trägt ein meterhohes Gebilde, auf dem eine Maske thront. Hingesprayt links vom Eingang ans Gebäude des Vitra Design Museums. Geschaffen hat es der senegalesische Künstler Docta. Er hat mit einer Gruppe Gleichgesinnter in seiner Heimat die Bewegung «Graff et Santé» initiiert. Ziel dabei ist es, Gesundheitsthemen unter die Bevölkerung zu bringen, denen sie sonst skeptisch gegenübersteht. Ärzte bieten Konsultationen auf der Strasse an, die Künstler leisten Aufklärungsarbeit aus der Spraydose. Soziales Design nennt man das: Es gibt ein Problem, ein Netzwerk von Menschen sucht nach einer Lösung.
Design: Eine Reaktion auf komplexe Realitäten
Genau so will auch die Kuratorin Amélie Klein Design verstanden wissen. Design sei heute nicht einfach ein Stuhl oder eine hübsche Grafik, sagt sie: «Design hat auf sehr komplexe Realitäten zu reagieren – und kann das auch.» Sie stellt hohe Ansprüche: Es solle multidisziplinär und netzwerkorientiert sein, und Verantwortung gegenüber der Gesellschaft übernehmen. In Afrika gelinge dies exemplarisch.
Mit «Making Africa – A Continent of Contemporary Design» will das Vitra Design Museum den Wandel des afrikanischen Designs und seine Schlüsselrolle in Designprozessen aufzeigen. Die Thematik hat die Kuratorin in vier Kapitel aufgeteilt, jedes Kapitel bekommt einen Raum. Im «Prolog» laden die Brillenskulpturen des kenianischen Künstlers Cyrus Kabiru sinnbildlich dazu ein, einen anderen Blick auf Afrika zu werfen. In Interviews, die an die Wand projiziert sind, erörtern Menschen die Unmöglichkeit, das multinationale Riesenkonstrukt Afrika als Einheit zu definieren.
Auch in Anlehnung an «Happy»
Ein weiteres Kapitel der Ausstellung untersucht die Einflüsse, welche die Künstler und ihre Werke prägen. Objekte werden auf verschiedenen Zeitachsen präsentiert. Das erlaubt Vergleiche. Plötzlich zeigen sich Parallelen: Die Partystimmung in den 1960er-Jahren ähnelt der Stimmung in selbstgedrehten Videoclips, die auch vielerorts in Afrika in Anlehnung an Pharrell Williams‘ Video zum Song «Happy» entstanden sind. Beide Zeitpunkte markieren einen Umbruch: die postkoloniale Befreiung damals und der Aufbruch ins Internetzeitalter heute.
Ein anderes Kapitel der Ausstellung untersucht den Einfluss des räumlichen Umfelds auf Designer. Noch ist die Urbanisierung in Afrika nicht ganz so fortgeschritten wie in Europa. Doch der Kontinent holt auf mit grossem Tempo. Besonders eindrücklich ist hier ein Objekt, das den Einfluss der Slums auf die Stadtentwicklung verbildlicht: Das Slum, dargestellt als Rad, bringt das grössere Rad der Stadt in Gang. Eine Metapher: Das Informelle treibt das Formelle an.
Müll als Ressource
Im letzten Kapitel stellen die Ausstellungsmacher die Frage nach Herkunft und Zukunft. Wenn ein Künstler aus gebrauchten Schraubverschlüssen in Handarbeit nach alter Tradition einen Wandteppich näht, und diesen für eine Million Dollar verkauft, dann definiert sich Material und sein Wert neu. Was ist Müll? Eine Ressource wie jede andere auch, postuliert Kuratorin Amélie Klein. Solche Statements fordert sie von Design im 21. Jahrhundert.
Auch das Publikum ist im Vitra Design Museum gefordert. Die Schau ist eine Einladung, die geläufigen Bilder Afrikas zu hinterfragen und Klischees als solche zu entlarven. Ein spannender Prozess, der das eigene Denken in Gang bringt.
Sendung: SRF 2 Kultur, Kultur kompakt, 13.3.2015, 17:10 Uhr.