Ihre Memoiren, die gerade wieder neu aufgelegt werden, erlauben ein Eintauchen in eine längst vergangene Zeit, in eine Kultur, die es so nicht mehr gibt: Geboren wurde sie im Spätsommer 1844 als Prinzessin Salme von Oman und Sansibar. Sie war die Tochter eines mächtigen Sultans, der über weite Teile Afrikas herrschte und seiner tscherkessischen Nebenfrau.
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Diese war bereits mit acht Jahren als Sklavin in das Haus des Sultans eingekauft worden und stieg danach in den Rang einer Nebenfrau auf. Salme hingegen wurde als Freie geboren und als legitime Prinzessin vom Sultan anerkannt.
Das Sultanat war zu jener Zeit auf seinem wirtschaftlichen Höhepunkt: Gewürznelken- und Sklavenhandel hatten es reich gemacht. So wuchs Prinzessin Salme in grossem Reichtum auf, in einem Palast mit mehr als 1000 Bediensteten.
Flucht nach Hamburg
Schon in jungen Jahren war sie eine selbständige Frau, die über mehrere Plantagen verfügte und diese auch bewirtschaftete. Dank ihrer sozialen Stellung und dem Goodwill ihres Bruders, der nach dem Tod ihres Vaters Sultan wurde, konnte sie sich lange einem Heiratsverdikt entziehen.
Bis sie dann selber mit 21 Jahren einen jungen Europäer, einen Handelsmann aus Hamburg, kennenlernte. Über die Umstände, die zu dieser geheimnisvollen Liebe geführt haben, weiss man fast nichts. Nur, dass sie von dieser Liaison schwanger wurde.
Um einer Hinrichtung zu entgehen, blieb Salme einzig die Flucht. Sie wurde Christin, heiratete ihren Geliebten, hiess von nun an Emily Ruete und ging mit ihm weiter nach Hamburg. Dort beäugte man Prinzessin Salme als Exotin. Abenteuerliche Haremsphantasien kursierten. «Eine Prinzessin aus dem Harem! Hier in Hamburg? Von Heinrich Ruete aus dem Harem entführt!», hiess es.
Aber schon nach nur drei Jahren starb ihr Heinrich und sie musste sich alleine mit drei Kindern durchschlagen. Das machte ihre Stellung als Fremde in Deutschland nicht einfacher.
Die Memoiren als Rehabilitierung
Die europäischen Vorstellungen über die Stellung der Frau im Orient waren damals im ausgehenden 19. Jahrhundert wild und abenteuerlich. Prinzessin Salme fühlte sich als Frau nicht ernst genommen und missverstanden.
In ihren Memoiren, die sie mit 42 im Jahr 1886 veröffentlichte, versucht sie sich gesellschaftlich zu rehabilitieren. Sie wolle die schiefen und schrägen Ansichten über die Stellung der Frau im Orient ein für alle Mal ausrotten, wie sie selber darin schreibt.
Wie sie das tat, ist ausserordentlich. Sie schrieb nicht nur aus der Perspektive einer in Deutschland assimilierten Orientalin, sondern kehrte den europäischen Blick gleichsam um. Dabei ist sie durchaus versöhnlich. Denn sie sah sich mehr als Kulturvermittlerin, denn als Kulturkritikerin.
Salme war keine Befürworterin der morgenländischen Praxis der Verschleierung. Sie kritisierte, dass die Mohammedaner hierbei eindeutig zu weit gehen. Um Konsens bemüht, schwächte sie dann wieder ab, dass es überall die Macht der Gewohnheit mit ihren tief dringenden Einflüssen gäbe: «Dort die strengste Zurückhaltung zwischen Mann und Frau; hier (in Deutschland) die zügelloseste Freiheit. Dort trotz der Hitze eine beständige Umhüllung und Maskierung; hier im kalten Norden – Dekolletieren. Das sind gewiss extreme Gegensätze; man übertreibt hier wie dort.»
Gegen Klischees und Vorurteile
Was aber die Stellung der Frau in Bezug auf die Ehe angehe, stehe es damit im Orient nicht so schlecht wie das in Europa geglaubt werde. Polygamie sei mehr Klischee und Monogamie der Normalzustand. Es verstehe sich von selbst, dass es auch im Orient Frauen gäbe, die ihre Selbständigkeit zu wahren wüssten. Beispielsweise durch geschickte Heiratsverträge, in denen der Mann formell auf Nebenfrauen verzichte.
Und dennoch stellte Salme eine rhetorische Gegenfrage und versuchte Polygamie und Monogamie zu relativieren: «Mir möchte fast als der einzige Unterschied in der Lage einer orientalischen und europäischen Frau erscheinen, dass die erstere die Zahl und wohl auch das Wesen und den Charakter ihrer Nebenbuhlerinnen kennt, während die letztere hierüber in liebevoller Unkenntnis gehalten wird.»
Salme schreibt häufig mit einem leicht ironischen Unterton. Wie beispielsweise, dass es eine Fabel sei, dass der arabische Ehemann sein Weib geringer schätze als dies der Europäer tue. Obwohl es natürlich immer Tyrannen gäbe. Doch mit bestem Gewissen könne sie behaupten, dass sie von zärtlichen Gatten, die ihre Frauen prügeln, hier in Deutschland mehr gehört habe, als in ihrer Heimat.
Aus der Sicht einer Privilegierten
Und ein grosser Vorteil im Orient sei: man könne sich auch wieder scheiden lassen. Es sei doch besser, dass zwei in allen Anschauungen und in den Grundzügen des Charakters sich schroff gegenüberstehende Eheleute friedlich trennten, als für ewig aneinander gekettet zu bleiben – wie das unschön in Europa zu beobachten sei.
Die Beispiele illustrieren, wie Prinzessin Salme Orient und Okzident einander entgegen hält. Zu bedenken ist dabei, dass sie aus der Perspektive einer privilegierten Prinzessin schreibt und ihre Aussagen – gerade was die Stellung der orientalischen Frau betrifft – wohl auch beschönigt. Doch auch mit dieser leisen Kritik sind ihre Memoiren heute nach 130 Jahren immer noch äusserst aktuell und lesenswert.