Die erste Liebe vergisst man nie. So sagt man. Als die Ich-Erzählerin in Monique Schwitters neuem Roman «Eins im Andern» eines Abends im kalten Hamburger Januar den Namen ihres ersten Freundes in das Eingabefeld der Suchmaschine tippt, ist ihr selbst nicht klar, wonach sie sucht.
Mehr aus Zufall denn aus Nostalgie kommt ihr die Idee, nach ihm zu forschen – sie steckt fest in ihrem Buchprojekt, die Kinder schlafen, der Mann werkelt im Nebenzimmer vor sich hin. Sie rechnet mit Informationen zu Petrus' Beruf, mit Hinweisen auf eine Frau, vielleicht sogar auf Kinder.
Es kommt anders. Nicht von einer Familie ist in den Suchtreffern die Rede, sondern von einem Selbstmord. Mehr als vier Jahre liegt er zurück, in dichtem Schneegestöber hat sich Petrus aus einem Fenster im achten Stock gestürzt.
Zwölf Männer sollen es sein
Erinnerungen tauchen auf. Die Erzählerin ist zwanzig, sie stapft auf roten Pumps durch den Schweizer Winter, an ihrer Seite ist Petrus. Wo geht die Liebe hin, wenn sie denn geht? Wie kann es sein, dass die Verbindung zu einst so nahen Menschen abbricht? Ausgehend vom ersten Freund forscht die Erzählerin nach den Spuren der Beziehungen in ihrem Leben.
Die Männer, zwölf sollen es sein, zwölf wie die Zahl der Apostel, treten in einer Art Liebesreigen noch einmal auf. Es ist kunstvoll, wie Schwitter dies macht: Biblische Motive durchziehen den Text, die Verflossenen werden zu Aposteln der Liebe, nach Petrus kommt Andreas, dann Jakob, und so weiter. Man spürt, dass Schwitter aus der Theaterwelt stammt – sie beherrscht das Spiel von Spannung, Aufbau und Inszenierung. So entsteht das Buch vor den Augen des Lesers, einer nach dem anderen wandelt durch die Geschichte.
Vom Kommen und Gehen
Auch Schwierigkeiten werden offengelegt: «Wie auch immer ich erzähle, was auch immer ich erzähle. Mein Mann sollte Letzter sein.» Letzter, das hiesse zwölfter, der letzte in der Reihe der Apostel. Rein chronologisch erzählt wäre ihr Mann Philipp jedoch gerade einmal Nummer fünf. Und wer möchte sich durch die Fiktion das Ende der Beziehung herbeischreiben? Es müssen also Nebenfiguren her, die die Reihe ergänzen. Affären, Freundschaften, platonische Beziehungen.
Unter die Vergangenheit mischt sich die Gegenwart. Philipp, Ehemann und Vater der gemeinsamen Kinder, verspielt einen Betrag in der Höhe eines Nettojahresgehalts. Sie hat nichts kommen sehen. Die Ehekrise dringt ein in die Erzählung und es stellt sich erneut die Frage, wie gut man einen anderen Menschen wirklich kennen kann. Die Kapitelüberschriften zeigen die Zweigleisigkeit des Romans: Männernamen, Ortsangaben und Jahreszahlen finden sich dort – jeweils einmal aus der Vergangenheit, einmal aus der Gegenwart der Erzählerin.
Damit das Leben der Fiktion folgt
Dass viel Autobiografisches in Schwitters Roman steckt, ist unbestritten. Das Alter, den Wohnort Hamburg, den Beruf und sogar das Wissen um die verstorbene erste Liebe teilt sie mit ihrer Erzählerin. Doch, wie Schwitter ihre Erzählerin Im Buch sagen lässt, neigt das Publikum ohnehin gerne dazu, die Erzählerin für die Autorin zu halten.
Am Schluss des Romans bestimmt die Fiktion die Realität. Das Leben soll dem Text gehorchen: Die Erzählerin will sich ein glückliches Ende mit ihrem Mann herbeischreiben. Und für einmal ist ihr Gehen kein Weggehen. Nach ihrer Reise durch die Vergangenheit kehrt sie zurück nach Hamburg – dieses Mal in dicken Winterstiefeln.