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Literatur Ballerspiele und Weltliteratur: neue Genres des Erzählens

«Computerspiele – Die Literatur der Zukunft?» - diese Frage stellt das Internationale Literaturfestival Berlin augenzwinkernd und führt einige Spiele vor, die durchaus kreatives Potential haben. Die Hegemonie der dumpfen Ballerspiele wird in Frage gestellt.

Ein grosses Publikum gemischten Alters wurde am 8. September in Berlin mit den neuesten Entwicklungen in einer wachsenden Branche bekannt gemacht – dem Computerspiel. Und das an einem Literaturfestival.

Das Internationale Literaturfestival Berlin ist allerdings für seine thematische Offenheit bekannt. Immerhin zum dritten Mal fand dort am gleichen Tag auf anderer Bühne der Comic-Tag mit internationalen Gästen statt. Kann also, was derzeit dem grafischen Roman widerfährt, auch dem Computerspiel blühen: Eine höhere gesellschaftliche Anerkennung?

Abbau von Vorurteilen

Stark daran interessiert sind jedenfalls die Partner des Festivals von der Stiftung Digitale Spielekultur. Deren Leiter Peter Tscherne sagt zur Wertschätzung der digitalen Spiele, denen in Deutschland immerhin ein Wachstum von 3,5% in 2013 vorhersagt wird: «Ich stelle es mir so vor, dass sie eigentlich genauso objektiv diskutiert werden, wie das bei Literatur, Film und Musik der Fall ist, nämlich von verschiedenen Seiten und in verschiedenen Perspektiven. Aber ohne diesen Impetus, dass Computerspiele generell etwas Schlechtes für die Menschen sind.»

Freiwillige Selbstkontrolle

Zu Beginn sollte das Publikum in einer simulierten Prüfsitzung das Freigabealter für ein Computerspiel bestimmen. Durch die Sitzung führte der Beauftragte der USK, der Unterhaltungssoftware Selbstkontrolle.

Die USK vergibt Zertifikate mit Altersfreigaben und orientiert sich dabei an vordefinierten Aspekten der Wirkungsmacht: «Glaubwürdigkeit, Menschenähnlichkeit, Atmosphäre, visuelle und akustische Umsetzung oder Realismus, Handlungsdruck und Sprache».

Die Botschaft wäre: Auch die Computerspielästhetik verfügt über nachvollziehbare Kriterien um Identifikationsgrad und Distanzierungsmöglichkeit der Spieler objektiv einzuordnen.

Kreativität und Selbstkritik

Video
Trailer zu «Spec Ops - The Line»
Aus Kultur Extras vom 14.09.2013.
abspielen. Laufzeit 2 Minuten 4 Sekunden.

Ein subversiver Zug kommt vom Spiele-Publisher Yager aus Berlin. Der entwickelte das vielbeachtete Anti-Kriegsspiel «Spec Ups – The Line», das 2012 erschien. Es arbeitet mit den Versatzstücken des Ballerspieles, aber zugleich auch mit der literarischen Tradition. Inspiriert ist es vom polnisch-britischen Romancier Joseph Conrad.

Dazu sagt der Computerspiel-Designer Johannes Kristmann: «Inspiration kommt auf jeden Fall von «Heart of Darkness«, zusammen mit «Apocalypse Now», ganz klar. Ich denke, im Team haben mehr den Film gesehen als das Buch gelesen.»

Audio
Vorführung mit Kommentar von Johannes Kristmann
00:45 min
abspielen. Laufzeit 45 Sekunden.

Das Filmisch-Sinnliche entspricht dem ästhetischen Wirkungsfeld der neueren Computerspiele in der Tat eher als der Imaginationsraum literarischer Lektüre. ie filmischen Elemente zeigen sich auch bei der Vorführung des Spiels in Berlin.

Nachhaltiger Eindruck

«Spec Ups – The Line» hinterlässt einen nachhaltigen Eindruck. Muss der Spieler doch folgenschwere Entscheidungen treffen und wird am Ende mit grausigen Wahrheiten über seine Gewalthandhabung konfrontieren.

Audio
Johannes Kristmann: «Die Geschichte des Spielers»
00:47 min
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Insgesamt geht es bei diesem Genre um interaktive Videospiele mit gesteigertem Identifikationsgrad und Realismus. Nacht stärker als zu Literatur und Film sieht Johannes Kristmann dabei die Parallelen zur mündlichen Erzählung.

Computerspiel und Kommerz

Bei aller Raffinesse des Spieles, dessen Entwicklung mehrere Millionen gekostet hat, soll also ein pädagogischer Effekt eintreten. Man kann das bei erster Sichtung durchaus glauben.

Audio
Martin Zähringer über Computerspiele und Literatur
aus Kultur kompakt vom 12.09.2013.
abspielen. Laufzeit 4 Minuten 5 Sekunden.

Andererseits, das brachte dieser Tag auch ans Licht, hat das militaristische, instinktgeleitete Ballerspiel noch einen überragenden Marktanteil, seine Erzeuger die Macht über Produktion und Vertrieb. Etwas mehr öffentliche Wahrnehmung könnte die klugen, kritischen Kreativen in diesem Sektor zu weiterem Engagement ermutigen.

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