Sie können gar «nicht so schnell schreiben, wie die Regierungen Kriege machen; denn das Schreiben verlangt Denkarbeit». Dies schrieb Bertolt Brecht am Vorabend des Zweiten Weltkrieges über sich und die anderen Schriftsteller. Zu diesem Zeitpunkt befand er sich im dänischen Exil, von wo aus er unzählige Gedichte, Prosaarbeiten und vor allem Theaterstücke verfasste, die – teils offen und teils listig verdeckt – zum Widerstand gegen die faschistischen Länder Europas aufriefen. Eines seiner typischen Werke: ein Zyklus von szenischen Einaktern, bekannt geworden unter dem Titel «Furcht und Elend des Dritten Reiches».
Antifaschistische Aufklärungsarbeit
Diese Szenenfolge beruht nach Brechts eigenen Aussagen «auf Augenzeugenberichten und Zeitungsnotizen». Sie war so konzipiert, dass die Einzelszenen jeweils von «winzigen Spielgruppen gespielt» und «sogleich, unter den ungünstigen Umständen des Exils» zur Aufführung gelangen konnten. Acht Szenen aus «Furcht und Elend des Dritten Reiches» wurden dann auch 1938 unter dem Protektorat des Schutzverbandes Deutscher Schriftsteller in Paris urauffgeführt.
Zur gleichen Zeit versuchten Brechts Freunde und sein Verleger Kurt Reiss in Basel vergebens, die Szenenfolge für die antifaschistische Aufklärungsarbeit einzusetzen. Sie wollten damit aufzuzeigen, «was die Leute erwarten» wird, sollte sich auch in ihrem Land eine Diktatur breitmachen. Brecht schwebte eine Aufführung vor mit einem Darsteller-Ensemble aus emigrierten Deutschen Schauspielern am Zürcher Schauspielhaus. Doch daran war 1938 nicht mehr zu denken.
In Gedenken an alle, die gelitten haben
Daher wurde «Furcht und Elend des Dritten Reiches» erst nach Kriegsende, im Januar 1947, am Stadttheater Basel aufgeführt – die erste Aufführung durch ein professionelles Ensemble. Sie fand in enger Zusammenarbeit mit dem Autor und mit Brechts Bühnenbauer Caspar Neher statt, der die Szenen nahezu auf einer leeren Bühne spielen liess. Die Theaterleute widmeten ihre «Furcht und Elend»-Inszenierung «in Gedenken und zu Ehren aller, die auf verlorenem Posten gekämpft, gelitten und in der Nacht der Hoffnungslosigkeit ihr Leben für uns alle und für die Zukunft geopfert haben».
Max Frisch fand Gefallen
Die Aufnahme bei Presse und Publikum war, allgemein gesagt, äusserst lebendig, und die Ablehnung entsprechend heftig. Einzig der junge Max Frisch liess sich von diesem ganz neuen Theater beeinflussen und schrieb in seinem Aufführungsbericht: «Nur darum ist es auch möglich, das ganze Stück auf einem roten Podium abzuspielen, ohne Kulissen, die den Raum geben. Küche oder Strasse, Gericht oder Moor, das alles braucht es nicht, nicht als Illusion, es genügt die knappe Andeutung, das Gerät für den Schauspieler; denn der Spielort ist ein geistiger.»
Doch Brecht wäre nicht Brecht, wenn all die kleinen Theaterstücke des oft realistisch brutalen Reigens von «Furcht und Elend des Dritten Reiches» nicht hin und wieder durch Wortkomik bestimmt wären. Bertolt Brecht war keineswegs der humorlose Oberlehrer, als der er auch heute noch fälschlicherweise dargestellt wird. Er besass Mutterwitz und einen ganz eigenen, aber stets erfrischenden Humor. Denn, wie er selber einmal bemerkte: «Humorlose Leute sind ja doch nur lächerlich.»
Als Stoff für die Hörspielbühne entdeckt
Nach Ende des Brecht-Boykotts im Westen, aber noch in der Zeit des Kalten Krieges, erinnerte sich die Hörspielabteilung des Radiostudios Bern an die aussergewöhnliche «Lukullus»-Erstsendung im Mai 1940. Und so kam es im Zuge dieser Wiederentdeckung in den Jahren 1968 bis 1975 zu einer ganzen Reihe von Brecht-Hörspielen. Unter anderem wurden die beispielhaften Szenen «Furcht und Elend des Dritten Reiches» erstmals als Stoff für die Hörspielbühne entdeckt.
Dabei kam Bertolt Brecht auch als Erneuerer des zeitgenössischen Theaters zu Wort. Etwa mit dem Aufsatz «Radio – eine vorsintflutliche Erfindung?» von 1927 und mit seinen Anregungen zu einer neuen Radiotheorie.