«Die Schweiz der Welt zu erklären, wird langsam zum Vollzeit-Job», gab Alain Berset in seiner Rede an der Leipziger Buchmesse zu. Und dieser Job scheint dem Bundesrat buchstäblich über den Kopf zu wachsen. Denn jetzt ist klar: Berset schreibt seine Reden nicht selbst. Literaturredaktor Michael Luisier hat sich Bersets Reden genauer zu Gemüte geführt – und hat zwischen den Zeilen eine kleine Sensation entdeckt: nämlich Pedro Lenz.
Pedro Lenz ist nah am Volk
«Mir fiel seit seinem Amtsantritt auf, dass Berset immer wieder Schweizer Werte, wie beispielweise die Tradition der Demokratie, den Willen des Volkes, thematisierte», sagt Michael Luisier. «Was mich vor allem stutzig machte, ist der konstante Diskurs rund um die sprachliche beziehungsweise die kulturelle Vielfalt der Schweiz.» Luisier war auch bei der Rede von Berset an der Leipziger Buchmesse zugegen. Auch da betonte Berset gewohnt pointiert: «Wir Schweizer haben das Privileg, uns gegenseitig verstehen zu müssen.»
Im Nachhinein scheint vieles offensichtlich. Alain Berset kann sich eine Schweiz, in der Englisch miteinander gesprochen wird, nicht vorstellen. Das hat er immer wieder betont. Und wer könnte mehr Sinnbild für die sprachliche Vielfalt sein als Mundart-Schriftsteller Pedro Lenz? Wer könnte ihm eher eine Rede auf den Leib schreiben als der ehemalige Maurer Pedro Lenz, der schreibt, wie das Volk spricht?
«Ich leihe Berset gerne meine Handschrift»
Literaturredaktor Michael Luisier ahnte die Antwort auf seine Fragen und hat Pedro Lenz damit konfrontiert. Dieser reagierte gewohnt gelassen: «Ja, ich schreibe für Alain Berset Reden. Nicht alle, aber wenn mir das Thema an Herzen liegt, leihe ich Berset gerne meine Handschrift.»
Damit ist Pedro Lenz nicht der erste Schriftsteller, der Reden für einen Schweizer Politiker schreibt. Bereits Peter Bichsel verfasste Reden für den Alt-Bundesrat Willi Ritschard.
Ein Literat mit politischer Seele
Lenz steht die Schweizer Bevölkerung nahe. Das zeigt sich auch immer wieder in seinen Büchern. «Für meine Romane lasse ich mich von der Realität, von realen Personen, inspirieren. Fiktion lag mir immer schon weniger. Und als Alain Berset auf mich zu kam und mir vorschlug, Reden für ihn zu verfassen, zögerte ich anfangs und sagte mir dann: ‹Deine Romane sind zwar von der Realität inspiriert, Pedro, aber wenn du Reden für Berset schreibt, kannst du direkt in der Realität etwas bewirken und die Menschen mit politischen Ideen, hinter denen du auch selbst stehen kannst, bekehren›.»
Lenz schmunzelt. «Bekehren» hat er bewusst gewählt – seine sprachliche Finesse zeigt sich eben immer wieder, und damit sein Sinn für die feine Ironie. Er lacht: «Ein Politiker wäre ich bestimmt kein guter. Da fehlt mir die nötige politische Maske oder, wie man so schön auf Französisch sagt, die ‹Contenance›.»
Am Bild der Schweiz mitschleifen
Kürzlich sagte Pedro Lenz in einem Interview in der Zeitung «Le Temps», dass man die Schweiz nicht zu sehr idealisieren solle. Denn das Festhalten am «Ideal Schweiz» sei schuld, dass die Bürger für die Masseneinwanderungsinitiative gestimmt hätten. Und es scheint ganz so, als hätte er nun als Redenschreiber von Alain Berset die Möglichkeit, selbst ein wenig am Bild der Schweiz schleifen zu können. Als literarischer Geist, in dem eigentlich ein kleiner Politiker steckt.