Beim Schreiben eines Textes hat Dieter Zwicky nie einen konkreten Plan: «Texte sind eigentlich der Umgang mit der eigenen Langeweile. Obschon das jetzt sehr emphatisch tönt. Weil ich keinem Faden folge, muss ich immer hoffen, dass die Sprache mich wieder auf eine Junction führt, die ich nehmen kann.»
Fingernägel und Rückenprobleme
Vom Schreiben oder vielmehr vom Verkauf seiner Romane und Erzählungen kann der studierte Theologe nicht leben. Deshalb hat er einen Brotjob. 29 Jahre lang verdiente der Schriftsteller sein Geld als Hilfsarbeiter bei der Post.
«Ich war lange in einem grossartigen Frauenteam mit äusserst ungebildeten Frauen, das hat mich enorm gepackt. Wir haben immer über Fingernägelkultur geredet, monatelang. Es war mir nie zuwider. Diese völlig andere Umgebung war grossartig. Ich suche das auch.»
Vom Herumtragen und Verteilen der Pakete bekam er Probleme mit seinem Rücken. Heute schleppt Zwicky keine Sendungen im Verteilzentrum der Post rum, sondern sitzt an einem Tisch und korrigiert Texte von Journalisten einer Wochenzeitung.
Faszination Sprache
Wenn er nicht in der Redaktion über Artikeln anderer Leute brütet, arbeitet er an seinem eigenen Schreibtisch: in seinem Atelier in Uster bei Zürich. Sprachen wie Griechisch, Latein und Hebräisch haben ihn während seines Theologie-Studium fasziniert.
Überhaupt interessiert er sich bis heute für Sprache und wie er das Schreiben nennt, für Spracharbeit, doch eine Sprachakademie oder ein Literaturinstitut hat er nie besucht. «Darum bin ich hier auf höchste Weise ein Dilettant, ein Ignorant. Aber damit auch genug autistisch mit mir befasst, dass ich das nach meinem Gusto einfach so herstellen kann.»
«Sprachlich ein wenig behindert»
Autistisch ist Dieter Zwicky im Gespräch nicht. Er ist offen und humorvoll. In Klagenfurt wird der Autor – wie seine Kolleginnen und Kollegen auch – einen bisher unveröffentlichten Text lesen. Er darf nichts über den Inhalt der Story erzählen.
Jedenfalls freut er sich darüber, dass er einer der Nominierten ist für das Wettlesen von Klagenfurt. Er hätte aber gerne einen Kompagnion aus der Heimat dabei gehabt: «Das finde ich schade. Ich fühle mich sprachlich natürlich ein wenig behindert im Hochsprachlichen.»
Die zweite Einladung
Dieter Zwicky hatte sich um die Nomination für das Wettlesen beworben und Glück gehabt. Es ist sogar das zweite Mal, dass er am Wettlesen teilnimmt. Bereits vor neun Jahren durfte er dem Fernsehpublikum und der berühmt-berüchtigten Jury einen Text vortragen.
Die Jury des Wettlesens ist dafür bekannt, dass sie oft ungnädig ist, doch Dieter Zwicky hofft auf gute Reaktionen. Wenn sie nicht positiv sein sollten, dann wünscht er sich der 58-Jährige leichten Umgang damit: «Ich bin auch eine Mimose. Aber vielleicht auch genug vergreist, um das einigermassen überstehen zu können.»
Die Kommas müssen stimmen
Der Schriftsteller hat bereits einige Auszeichnungen erhalten, vor zehn Jahren etwa den Schillerpreis. Die Laudatio lobte unter anderem «seinen lakonischen Witz und einen virtuosen Umgang mit einer sich immer selber reflektierenden Sprache».
Was macht einen guten Text aus? «Ein guter Text erinnert mich etwas an meine eigene Spracharbeit. Daran messe ich das. Und so kommt zum Beispiel die Kommasetzung sehr in den Vordergrund. Wenn die nach meinem Gusto ist, ist ein Text schon mal sehr gut.» Ob Dieter Zwickys Text nach dem Gusto der Jury ist, wird sich zeigen. Zu hoffen ist es.