Das Wichtigste in Kürze
- «Das Haus am Wald» ist die zweite Graphic Novel von Hannes Nüsseler: Es ist die Geschichte von Diana, die zurück in das Haus ihrer Kindheit zieht.
- Wie die Bilder sind auch die Dialoge stark reduziert. Manche Doppelseiten erzählt Nüsseler ganz ohne Text. Das schafft Platz für Interpretation.
- Das Buch macht Lust auf mehr: auf stilsichere Comics, die mit leicht verständlichen Bildern eine gute Geschichte erzählen.
Diana ist eine junge Frau, die selbständig sein will. Das ist nicht ganz einfach, denn Diana ist schwanger. Von ihrem Freund hat sie sich gerade getrennt. Trotzdem will sie in das Haus am Wald einziehen, das seit dem Tod ihres Vaters leer steht.
Sie kennt keinen, aber alle kennen sie
Der Vater hatte einen Autounfall, hat man ihr erzählt. Diana war damals noch ein Kind. Jetzt kehrt sie wie eine Fremde zurück in das kleine Nest Talberg. Sie kennt hier niemanden, aber alle, so scheint es, kennen sie.
Das Haus ist viel zu gross und etwas leer. An einer Wand hängen noch die exotischen Masken und Jagdtrophäen, die der Vater einst sammelte.
Brüchige Idylle
Hannes Nüsseler erzählt mit schlichten Bildern. Mit klaren Strichen schafft er eine brüchige Idylle, die von Geistern bewohnt wird.
Wie zeichnet er das? «Er arbeitet hier sicher mit einer minimalen Vorzeichnung mit Bleistift, dann verwendet er verschiedene Tuschstifte und Farben», sagt Angela Heimberg. Sie ist Inhaberin des Comix-Shop in Basel. So lege Nüsseler das Grundgerüst, «danach wird das Bild eingescannt und am Computer mit den Rasterfolien und den Effekten hinterlegt.»
Diese Raster schaffen ein kühles, körniges Bild. Der Effekt erinnert ein wenig an die Fernsehbilder aus den 1990er-Jahren, zu denen Diana am Abend einschläft.
In Details spiegelt sich das politische Klima der Zeit
Wir schreiben das Jahr 1992. In Sarajewo wüten die Häuserkämpfe. In der Schweiz steht die Abstimmung über den EWR-Beitritt bevor. Hannes Nüsseler kontrastiert Dianas Geschichte mit den Wegmarken der Zeit.
Im Röhrenfernseher sieht man Christoph Blocher. Auf dem Kirchenbasar liegen Flugblätter gegen ein Asylheim auf.
Reduzierte Bilder, reduzierte Sprache
In dieser Stimmung wird Diana ihr Haus am Waldrand zusehends unheimlich. Sie fühlt sich beobachtet. Ihr Telefon klingelt, doch wenn sie rangeht, ist da niemand.
Und über den Vater kursieren im Dorf die wildesten Gerüchte. Er soll erschossen worden sein. Ein Italiener, so munkelt man. Ein Jagdunfall sagen andere.
Viel Raum für Interpretation
Wie die Bilder sind auch die Dialoge stark reduziert. Manche Doppelseiten erzählt Nüsseler ganz ohne Text. Das schafft Platz für Interpretation.
Ein Beispiel: über den Grund, weshalb Diana und ihr Freund, Tom, sich trennen, sehen wir nicht viel mehr als ein Bild. Diana sitzt mit ihrem Freundeskreis in der WG und diskutiert über den Umzug ins neue Haus. Da sagt einer zu ihrem Freund, Tom: «Und Du Tom? Was hast Du in Talberg vor? Wurzeln schlagen?»
Ein Bild erzählt Bände
Wir sehen Tom, wie er schweigend die Flasche an die Lippen hält. Seine Augen sind nachdenklich geweitet. Über seinem Gesicht liegt ein Schatten, der an Munchs «Schrei» erinnert.
Hinter ihm ein Filmplakat mit einem Totenschädel: «Evil Dead 2», der berühmte Horrorstreifen aus den 1990ern. Es ist der blanke Horror vor diesem Landhaus, den Nüsseler mit einem einzigen Bild festhält.
Cineastischer Comic
Wer solche Feinheiten mag, dem sei diese Graphic Novel herzlich empfohlen. Hannes Nüsseler ist ein cineastischer Comic geglückt: Mit filmischem Geschick setzt er Perspektivenwechsel ein.
Und wenn am Ende die Handlung dramatisch anzieht, dann bedient er sich starker Wechsel von hell und dunkel.
Das Buch macht Lust auf mehr: auf stilsichere Comics, die mit leicht verständlichen Bildern eine gute Geschichte erzählen.