Die Situation, in die Sie kommen, ist keine neutrale, Ihre Aufgabe keine leichte. Da ist die ganze Vorgeschichte mit der Absetzung von Stefan Zweifel als Moderator. Welchen Einfluss hat das auf Ihren Anfang?
Nicola Steiner: Der ganze Furor um Stefan Zweifel macht mir den Anfang besonders schwer. Ich schätze Stefan als Kollegen und Literaturkritiker enorm und bedaure es sehr, dass er den Literaturclub verlassen hat. So geht es auch vielen Zuschauern. Deshalb werden die Erwartungen von aussen an mich jetzt besonders hoch sein.
Wenn man es so betrachtete, könnte ich wohl nur scheitern – et voilà, schon sind wir mittendrin, mitten in der Literatur. Anna Karenina scheitert, Katharina Blum scheitert, Madame Bovary scheitert, unter anderem deshalb, weil sie gewissen Erwartungen nicht gerecht werden.
Wie gehen Sie damit um?
Ich glaube fest daran, dass es für alle spannender ist, sich mit Literatur zu beschäftigen als mit mir. Zweifel zeigte, der Literaturclub ist ein Schaufenster im Scheinwerferlicht. Das ist keine Sendung wie jede andere. Welche Sendung im deutschsprachigen Raum stellt bitte 75 Minuten lang zur besten Sendezeit die Literatur ins Rampenlicht? Darauf bin ich stolz, und wenn ich da dabei sein darf, erst hinter der Kamera, jetzt davor – umso schöner!
Was sind Ihre Vorlieben, literarisch? Gibt's das überhaupt?
Aber natürlich gibt's das. Eine grosse Vorliebe habe ich für die zeitgenössische deutschsprachige Literatur. Ja, und dazu zählt auch die Schweizer Literatur. Deutschsprachige Literatur ist ja nicht nur Literatur aus Deutschland. Wer meine Sendungen für «52 beste Bücher» anhört, dem fällt vielleicht auf, dass mein Herz zum Beispiel für Autorinnen und Autoren schlägt, für die Deutsch nicht unbedingt ihre Muttersprache ist: Katja Petrowskaja, Navid Kermani, Saša Stanišić. Wenn ich deren Bücher lese, sinke ich nieder vor Demut. Die haben ein Feingefühl für Sprache und dieser liebevolle Umgang mit ihren Protagonisten! Aber: Wer E sagt, muss auch U sagen! Ich habe für diese ernsthafte Literatur nicht immer die Energie. Dann geht's in die Unterhaltung! Und wenn mir dann so ein Frank Schätzing zwischen die Finger kommt, lege ich ihn nicht mehr weg...
Gibt es etwas, von dem Sie sagen, davon hätte ich gerne mehr in der Sendung?
Ich finde, dass die Buchauswahl im Literaturclub in den letzten Jahren immer sehr ausgewogen war – das muss ich als Redaktorin jetzt aber auch sagen, oder? Für mich persönlich gibt es aber jetzt endlich die Chance schlechthin: Bei so vielen Kolleginnen und Kollegen hatte ich oft schlechte Karten, wenn es um die interne Verteilung der Schweizer Bücher ging. Und jetzt darf ich da endlich mitreden! Und zwar richtig.
Was heisst das konkret?
Das heisst, dass ich einen Bärfuss besprechen kann, auch wenn den im Radio schon jemand anderes besprochen hat. Die ganzen tollen Schweizer Bücher kann ich jetzt besprechen, wenn ich will, das kann mir keiner nehmen.
Was ist Lesen für Sie?
Lesen ist Leben. Lesen ist Lust und Freude, Frust und Anstrengung, Lesen ist ein Erregungszustand, Lesen ist Rebellion gegen die Langeweile – manchmal ist lesen aber zugegebenermassen auch langweilig. Kurz: Wenn ich lese, bin ich.
Was kann eine Sendung wie der Literaturclub leisten?
In meinen Augen sollte der Literaturclub eine Orientierung geben über die vielen Neuerscheinungen einer Saison. Vielleicht kann man deutlich machen, welches Buch sich zu lesen lohnt. Und vor allem warum, und welches weniger. Dabei spielt natürlich der Zugriff der einzelnen Kritikerinnen und Kritiker eine Rolle. Wenn sie sich als Gewährsleute profilieren können und deshalb ein paar Leute mehr zu einem Buch greifen, dann haben wir schon viel erreicht. Wenn sich die Zuschauer aber nur gut unterhalten fühlen – auch gut.
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Sie haben da eine Mischung gegensätzlicher Charaktere und Temperamente in der Runde, jeder mit einem unterschiedlich grossen Hang, die eigene Meinung noch irgendwie abzustützen. Das erinnert an einen Tanz auf dem Vulkan. Freuen Sie sich auf die explosive Mischung?
Ja! Und wie! Ich weiss, wie lustvoll Streit sein kann, wenn man sich respektiert.
Was macht in solch einer Situation die Moderation zur Kunst?
Ganz ehrlich? Für mich ist Moderieren weniger eine Kunst als eine Haltung: etwas erfahren wollen und zuhören können. Und in solch einer Situation, wie Sie es meinen: vielleicht mal meine Funktion als Gastgeberin ausüben und – Achtung: metaphorisch gemeint! – auf den Tisch hauen!