Gerade mal sieben Bücher umfasst das Oeuvre des 1944 im Thurgau geborenen Autors – das letzte ist vor zwölf Jahren erschienen. Markus Werner hat fast sein ganzes Leben im Schaffhausischen verbracht. Nach einer Promotion über Max Frisch arbeitete er als Gymnasiallehrer, dann als freier Schriftsteller. Aufgrund seiner fragilen Gesundheit und der unerbittlichen Ansprüche an sein Schreiben ist er früh verstummt.
Dem lauten Literaturbetrieb hat sich der verschmitzte und versponnene, zur Freundschaft begabte Autor seit jeher kompromisslos verweigert. Am Sonntag ist er seinem schweren Lungenleiden erlegen. Seine so subtilen wie virtuosen Prosakunstwerke bleiben.
Melancholisch und humorvoll
«Zum Warmwerden lag allem Anschein nach keine Ursache vor» – Dieser Satz von Robert Walser ist als Motto Werners zündendem Romanerstling «Zündels Abgang» (1984) vorangestellt. Er könnte vor jedem seiner Bücher stehen: Alle schreiben sie an gegen die Kälte in der Gesellschaft und in persönlichen Verhältnissen: Mal mit rabiatem zivilisationskritischem Furor und oft groteskem Humor wie in «Zündels Abgang», mal im melancholischen Hader mit misslingenden Lebensentwürfen und mit dem omnipräsenten Schatten des Todes. Stets hat Werner in unverwechselbar prägnantem Stil geschrieben.
Keine geradlinigen Lebensläufe
So behandelt «Froschnacht» das alte Thema einer verfehlten Vater-Sohn-Beziehung ganz neu. In «Die kalte Schulter» bringt der plötzliche Unfalltod der Gefährtin den Protagonisten Wank arg ins Wanken. «Bis bald» – mir persönlich das liebste Buch Werners – ist der grandios vielschichtige Lebensbericht eines herzkranken Denkmalpflegers, der mit der Freiheit im Tode endet.
Es sind nie gradlinige Schicksale oder ungebrochene Protagonisten, welche Werner interessieren, sondern zögerliche Schwerenöter und verschattete Beziehungen. Vielleicht der hoffnungsvollste Text ist «Festland»: Er schildert aus Frauenperspektive eine spät gelingende Begegnung von Tochter und Vater.
Beiträge zum Thema
- Markus Werners «Zündels Abgang» (Buchzeichen, 21.2.2016) Markus Werners «Zündels Abgang» (Buchzeichen, 21.2.2016)
- «Am Hang»: M. Werners Erfolgsbuch (Kultur kompakt, 24.10.2013) «Am Hang»: M. Werners Erfolgsbuch (Kultur kompakt, 24.10.2013)
- Schaffhausen ehrt Markus Werner (Regionaljournal SH, 19.1.2008) Schaffhausen ehrt Markus Werner (Regionaljournal SH, 19.1.2008)
Ins Unsichere entlassen
In den letzten Büchern, dem schlitzohrigen scheindokumentarischen Roman über das abenteuerliche Leben des Urgrossvaters des Erzählers («Der ägyptische Heinrich») und in der raffinierten Dreiecksgeschichte «Am Hang» gelingt Werner die schwebende Balance zwischen Verzweiflung und Zuversicht. Wobei die Lesenden mit vielen Fragen ins Unsichere entlassen werden.
«Was bleibt, ist die Einsicht in die empörende Gebrechlichkeit von Welt und Mensch – und die Frage, wie wir mit diesem Befund umgehen können» – so hat Markus Werner den Glutkern seines Schreibens im Gespräch umrissen. Den Humor bezeichnet er als «überlebensdienliche Gabe», als eine «Veranlagung,die es ermöglicht, uns vom Deprimierenden nicht gänzlich niederzwingen zu lassen.»
Elegant wie ein Musikstück
Hierin gründet gewiss ein Teil der allen Werner-Lesenden vertrauten, wärmenden Glücksgefühle, auch beim Lesen tieftrauriger Geschehnisse. Zum Wunder seiner Wirkung gehört ferner die überwältigende Musikalität von Werners eleganter, ja makelloser Prosa: Sie machen das schmale Werk zum hell strahlenden Solitär in der deutschsprachigen Literatur der letzten Jahrzehnte.
Ein Plädoyer gegen die Raserei
«Ich stehe dazu», hat Werner einmal bekannt, «dass die Stille und die Langsamkeit früherer Zeiten meiner Natur gemässer wären als die ohrenbetäubende Raserei, die uns Heutigen fast die Besinnung raubt.»
Dieser Raserei hat Werner seine leisen, poetisch funkelnden und unendlich genau gewirkten Kompositionen entgegengesetzt. Über den Schmerz an der missratenen Welt einfach zu schweigen, das verwarf er vehement.
Die Figur Loos in seinem letzten Roman «Am Hang» umreisst das poetische Programm des Autors «Wir haben noch andere Möglichkeiten», heisst es dort, «die Beschimpfung der Welt und die Beschreibung der Ohnmacht, in die uns ihre rücksichtslose komplexe Wesensart versetzt.» Und: «Man kann sich Geschichten erzählen, die man erlebt, gehört oder erfunden hat.»
All dies wird uns nun fehlen. Aber wir können uns Markus Werners abgründig-witzige Geschichten stets neu erzählen oder vorlesen.