Das Wichtigste in Kürze
- Ein Bildband gibt Einblicke in die Entstehungsgeschichte aller Trickfilme von Walt Disney.
- Das Buch zeigt einen scharf formulierenden Walt Disney, der genau weiss, was er will.
- Walt Disney produzierte zunächst nur für den amerikanischen Markt, verschmolz pragmatische Hemdsärmeligkeit und visuelles Genie für ein Millionenpublikum.
Bücher über Walt Disney füllen ganze Regale, Bücher über den einflussreichsten «Märchenonkel des 20. Jahrhunderts». Nun liegt ein dicker Wälzer vor, der zu einer Reise durch Disneys kompletten Animations-Kosmos einlädt.
Ein Blick auf den Zeichentisch
Angefangen mit «Schneewittchen und die sieben Zwerge», seinem avantgardistisch angehauchten Musikfilm «Fantasia» bis hin bis zu seinem famosen Spätwerk: «Das Dschungelbuch». Im Bildband wird dem Künstler Walt Disney auf den Zeichentisch geschaut.
Aus den Archiven der Walt Disney Company und zahlreichen Privatsammlungen wählte Herausgeber Daniel Kothenschulte für diesen Band eine Fülle disneyscher Animationen aus: Concept Paintings und Storyboards zeigen die Entstehung der Film-Ideen, und lassen die berühmten Filmszenen in bunter Detailtreue aufleuchten.
Walt Disney wusste, was sein Publikum wollte
Neben dem teils surrealen Bildern aus dem Fundus der Disney-Archive, erlauben Mitschriften der internen Storykonferenzen zwischen Disney und seinem Team Einblicke in die alltägliche und durchaus kontrovers geführte Planungsarbeit der Walt Disney Studios.
Es zeigt einen oft scharf formulierenden Disney, der sehr genau wusste, welche Form der Fantasie er dem amerikanischen Publikum zumuten konnte.
Eine Welt ohne Blut
Eine der berührendensten Szenen aus dem Film Bambi ist der Tod der Mutter des im Schneesturm herumirrenden Rehkitz Bambi. Disneys Art-Team wollte die Umrisse des toten Tieres zeigen. Walt Disney fühlte sich mit dieser Idee nicht wohl.
Walt: «Muss das sein?»
Perce: «Es ist kraftvoll.»
Walt: «Ich frage mich nur, ob das überhaupt sein muss.»
Larry: «Es hörte sich ziemlich gut an, Walt.»
Walt: «Kein Blut.»
Disney wollte kein totes Muttertier zeigen, sondern den Tod von Bambis Mutter suggerieren. Kein Blut sollte zu sehen sein, keine Spuren menschlicher Jagdlust werden thematisiert. Bambis Welt ist eine geschlossene Tier-Fantasiewelt.
Für jede Produktion ein Kapitel
Auch in «Fantasia» oder «Alice im Wunderland» lässt sich dieser Produktionsprozess nun nachvollziehen. Jedem abendfüllenden Film, aber auch Kurzfilm aus der Disney-Produktion, ist ein eigenes Kapitel gewidmet, das Entstehung, Rezeption und Kritik berücksichtigt und in vielen, teils nie veröffentlichten Entwürfen und Skizzen, den kreativen Prozess der Disney-Filme begleitet.
Disney so gut wie die «Alten Meister»?
Es zeigt einen bemerkenswerten schöpferischen Prozess, der mit witzigen Kurzfilmen wie den Laugh-O-grams begann und spätestens ab Ende der 1930er-Jahre den Animationsfilm zur kommerziell erfolgreichen Kunstform etablierte.
Einige zeitgenössische Kunst- und Filmkritiker rückten den Animationskünstler gar in die Nähe «Alter Meister» und verglichen seine Studioarbeit mit der von Rubens oder Leonardo da Vinci. Man solle sich einfach Donald Duck und die Musik wegdenken, empfahl ein Kritiker und einfach «lebende Bilder» betrachten.
«Zum Teufel mit dem englischen Publikum»
Aus heutiger Sicht mag man das anders sehen, doch der Disney-Style war eine zeitgenössische Ausdruckskunst, die es verstand, filmische Fantasie und künstlerische Moderne für ein Millionenpublikum miteinander zu verschmelzen.
Disney hat diese amerikanische Mischung aus pragmatischer Hemdsärmligkeit und visuellem Genie in einer Storykonferenz zum Film «Alice im Wunderland» treffend auf den Punkt gebracht:
Das Wesen von Carrolls Geschichte ist: Fantasie, Vorstellungskraft, Screwball-Logik, aber die Geschichte muss witzig sein. Ich meine witzig für ein amerikanisches Publikum. Zum Teufel mit dem englischen Publikum oder den Leuten, die Carroll lieben.
Sendung: SRF 2 Kultur, Kontext, 15.12.2016, 9:06 Uhr.