«Mir wird schlecht bei dem Wort ‹Träume›. Das Leben gehört nicht geträumt, sondern im Rahmen der Möglichkeiten geplant und angenehm gestaltet.» Die vier Hauptfiguren in Ronja von Rönnes Roman «Wir kommen» nehmen das Leben von einer dezidiert pragmatischen Seite.
Es sind vier junge Erwachsene, zwei Männer und zwei Frauen, Grossstädter um die 25 Jahre. Ideale haben sie keine. Nur keine Luftschlösser bauen! Ambitionen fürs Leben? Völlig antiquiert!
Keine Leidenschaft
Die vier pflegen untereinander eine Art offene Beziehung, die sie davor bewahren soll, in die als «spiessig» empfundenen Rollen einer festen Partnerschaft zu fallen. Allerdings ist bei diesem «Viererding» nie ganz klar, wie offen es nun tatsächlich ist. Und wirklich glücklich macht es keinen.
Ähnlich sieht's beim Beruf aus: Zwar haben alle Jobs – als Moderatorin, Ernährungsberaterin, Grafikdesigner und Sachbuchautor. Aber Leidenschaft kennt niemand.
Beissender Sarkasmus
Das Einzige, was die vier mit Verve tun: Sie machen sich lustig – über alle und alles. Beissend ist etwa der Sarkasmus, mit dem die Ich-Erzählerin – sie ist eine der beiden Frauen – den Smalltalk an einer Party seziert.
Die Gastgeber, liest man da, seien Leute, «die gerne Partys geben, weil sonst selten jemand zu Besuch kommt.» Die Gäste würden «genau die gleichen, matten Gespräche» führen, wie sie es «seit über zehn Jahren» getan hätten. «Man wusste, ohne sich mit jemandem zu unterhalten, welche der drei in Frage kommenden Parteien man wählte, was man frühstückte, man wusste Gemüsekisten-Abo, man wusste geraspelte Avocadokerne».
Entblössende Ironie
Passagen wie diese – und davon gibt es nicht wenige in diesem Roman – sind Lesegenuss pur. Mit schonungsloser Präzision zieht die Erzählerin gegen alle Oberflächlichkeit zu Felde. Etwa dann, wenn sie die Kleinkariertheit des nachbarschaftlichen Zusammenlebens in der Provinz aufs Korn nimmt. Oder wenn sie sich über die Plattitüden auslässt, die ein Psychotherapeut seiner Patientin mit auf den Weg gibt.
Ronja von Rönne verwendet eine saloppe Sprache, dir nur gelegentlich zu salopp gerät. Etwa hier: «Ein schöner Tag, schlapp lagen die Felder herum, und Windräder drehten träge ihre sisyphosschen Runden, die Luft bemühte sich schon, salzig zu riechen, das Meer konnte nicht mehr weit sein» – naja.
Wohltuend ist hingegen, dass Ronja von Rönne auf jegliches Moralin verzichtet.
Sie verwendet mit grossem Talent für das richtige Mass eine trockene Ironie, die den Roman zu einer sehr vergnüglichen Lektüre macht. Immer wieder – und dies macht das Buch letztlich zu Literatur – bleibt einem das Lachen aber im Hals stecken: Und zwar dann, wenn die tiefe Zerrissenheit sichtbar wird, welche das Lebensgefühl der vier jungen Menschen letztlich bestimmt.
Gefangen in der Reflexion
Alle vier des Quartetts werden von diffusen Lebensängsten geplagt: Sie sehnen sich nach Authentizität, nach dem vermeintlich «wahren Leben», nach dem Gefühl, wirklich gebraucht zu werden. Aber anstatt es einfach zu versuchen und sich dem Leben hinzugeben, bleiben sie in der Reflexion über ihr Unvermögen gefangen – und damit in einer ätzenden Orientierungslosigkeit.
Am Ende der Lektüre fragt man sich, wie es denn im eigenen Leben aussieht: In was für einer Welt leben wir eigentlich? Was ist uns wichtig? Wofür setzen wir uns ein? Und: Dürfen wir mit der Antwort, sofern wir eine finden, zufrieden sein?