Im 18. Jahrhundert war der Mars durch ein Teleskop nur als rote Kugel erkennbar. Mehr sah man nicht. Neueste Erkenntnisse liessen auf zwei Monde schliessen. Das reichte, um fantastische Geschichten zu erzählen. Damals erlangte der Rote Planet eine neue, literarische Relevanz. Mit «Mars – Literatur im All» widmet das Zürcher Literaturmuseum Strauhof dem Mars als literarischen Schauplatz eine Ausstellung.
Marsianer: die besseren Geschöpfe Gottes
In einer frühen Marsgeschichte reisen irdische Astronauten auf einen Marsmond. Eberhard Christian Kindermanns Roman von 1744 hat den Titel «Die Geschwinde Reise auf dem Lufft-Schiff nach der obern Welt». Die Astronauten treffen auf Mondmarsianer und stellen fest: Die Menschheit ist ihnen moralisch unterlegen. Auf dem Marsmond kommuniziert Gott höchstselbst noch mit seinen Geschöpfen. Den Menschen auf der Erde sind nur die Überlieferungen in der Bibel geblieben.
«Kindermann hatte die Vorstellung, dass wir in einem moralischen Kosmos leben», erklärt Philipp Theisohn, der Kurator der Mars-Ausstellung im Strauhof. Die Vorstellung einer moralischen Ordnung im Kosmos habe damals durchaus den philosophischen Ideen entsprochen. Für den Zeitgenossen Immanuel Kant sei klar gewesen: Der Mars und sämtliche andere Planeten sind bewohnt. Eine Schöpfung, die niemand sieht, wäre widersinnig, glaubte Kant.
Die Entfernung zur Sonne verhielt sich für Kant proportional zur Stärke der Seele: Je näher ein Planet der Sonne ist, desto körperlicher und triebgesteuerter seien seine Geschöpfe. Umgekehrt seien Geschöpfe fern der Sonne moralischer, da sie stärkere Seelen hätten.
Die Verheissung der Marskanäle
1877 war ein gutes Jahr für Marsforscher: Der rote Planet stand der Erde besonders nahe. Die Existenz der beiden Marsmonde konnte endlich bestätigt werden. Weit sensationeller jedoch war die Entdeckung der «Marskanäle». Ein Netz von Linien, das über den ganzen Planeten reichte.
Die Linien stellten sich später als optische Täuschung heraus. Doch zunächst wurde die Entdeckung mit Begeisterung aufgenommen. Die vermeintlichen Bauwerke bestätigten: Auf anderen Planeten gibt es Zivilisationen. Ein Kanalsystem, das selbst auf der Erde sichtbar ist, war der Beweis für eine hochentwickelte Kultur auf dem Mars.
«Die These war damals: Der Mars ist älter als die Erde. Deshalb ist er uns in seiner Entwicklung voraus», sagt Theisohn. Demnach zeigte der Mars Lösungen für Probleme auf, die der Erde erst noch bevorstünden. Ein Blick auf den Mars galt als Blick in die Zukunft der Erde.
Was, wenn sie nicht friedfertig sind?
Der Mars wurde zur Projektionsfläche für utopische Fantasien, politische Ideen und radikale Geschlechtertheorien. Alles schien möglich und besser als auf der Erde. Irgendwann schwante den Menschen allerdings, dass technischer Fortschritt nicht zwangsläufig mit moralischer Integrität einhergehen muss. Technischer Fortschritt könnte auch rein kriegerische Überlegenheit bedeuten – ein Szenario, das H.G. Wells 1898 in «Krieg der Welten» durchspielte. In seinem Roman greifen Marsianer in dreibeinigen Kampfmaschinen die Erde an, um an ihre Ressourcen zu kommen.
Weniger radikal, aber mit ähnlichem kriegerischem Ausgang analysierte der deutsche Schriftsteller Kurd Lasswitz eine interplanetare Begegnung in «Auf zwei Planeten»: Drei Wissenschaftler entdecken am Nordpol eine marsianische Basis.
Es entwickeln sich persönliche und politische Beziehungen, die zunächst friedlicher Natur sind. Dennoch kommt es zum Krieg zwischen der Erde und dem Mars. Nicht zuletzt, weil auch hier die Menschen moralisch und technologisch unterlegen sind.
Für Theisohn ist der Roman das repräsentativste Werk der Marsliteratur. Es sei eine umfassende Analyse, die das ganze Spektrum an Kulturreflexionen abdecke, die nach der Entdeckung der vermeintlichen Kanäle entstanden.
Der Erdling als Ausserirdischer
Der Beginn der Marsliteratur war eine Synthese von Wissenschaft und Fiktion. Das änderte sich im 20. Jahrhundert: Wissenschaftler begannen an der Theorie der Marskanäle zu zweifeln, aber die Fiktion grosser Marszivilisationen hielt noch an. In den 1960er-Jahren erreichten erste Bilder vom Mars die Erde. Sie setzten der Fantasie des bewohnten Planeten ein Ende und die Visionen zerfielen zu Staub.
Heute schaut die Menschheit am Mars vorbei zu erdähnlichen Planeten wie Kepler 452b und bereitet sich vor, andernorts selbst ausserirdisch zu werden. Für Theisohn liegt in fernen Kolonien neues literarisches Potenzial. Vor allem in der Frage, ob Menschsein nicht auch direkt mit dem Heimatplaneten Erde zusammenhängt.
Sendung: SRF 1, Regionaljournal Zürich Schaffhausen, 24. September 2015, 17.30 Uhr