Im Roman «Nacht ist der Tag» geht es um Gillian: Sie ist eine schöne Fernsehmoderatorin, lebt ein glamouröses Leben, ist gerngesehener Partygast, hat eine Wohnung voller Designermöbel, und die Illustrierten schreiben regelmässig Homestories über sie. Ihr Mann Matthias spielt das Spiel des schönen Scheins mit.
Schicksalsschlag als Chance
Eines Abends fahren die beiden nach einer Eifersuchtsszene betrunken nach Hause. Matthias baut einen Unfall, er stirbt, und Gillian erwacht im Krankenhaus mit einem entstellten Gesicht.
Mühsam muss sie sich zurück ins Leben kämpfen – oder vielmehr ein neues Leben aufbauen. Weil sie alles, was ihren Alltag bisher bestimmt hat, verloren hat, muss sie sich auf ihr Inneres besinnen. Und bringt dank diesem Schicksalsschlag den Mut auf, endlich sich selbst kennenzulernen.
Was macht einen Menschen aus?
Peter Stamm ist mit dieser Geschichte ein Roman gelungen, der eine ganz grundsätzliche Frage stellt: Was macht das Wesen eines Menschen überhaupt aus? Was ist die «Essenz» eines Menschen, wenn alle Äusserlichkeiten wegfallen?
Die Protagonistin Gillian muss sich durch ihren Schicksalsschlag mit dieser Frage auseinandersetzen, und der Leser, die Leserin, begleitet sie dabei. Zu Beginn sieht man tief in Gillians Seelenleben, entwickelt ein Gefühl für ihre innere Leere.
Im Verlauf ihrer Entwicklung zur eigenen Persönlichkeit distanziert sich der Erzähler aber immer mehr von ihr und beschränkt sich grösstenteils auf äussere Beschreibungen. Gillian wird dadurch weniger fassbar. Hier bleibt die Geschichte zu eindimensional.
Klischeehaft, aber lesenswert
«Nacht ist der Tag» ist ein lesenswerter Roman, in dem Peter Stamm einmal mehr von einschneidenden Veränderungen im Leben seiner Figuren erzählt. Die Protagonistin Gillian blickt am Ende optimistisch in die Zukunft. Auch, wenn es klischeehaft oder kitschig sein mag – dieser Roman erzählt, wie auch ein Schicksalsschlag eine Chance sein kann.