«Die Zukunft ist eine dumme Sau, sagte ich. Man weiss nie, womit sie als nächstes um die Ecke kommt.» Es sind solche Sätze, die einem als erstes ins Auge fallen, wenn man Sven Regeners neusten Roman liest. Diese witzigen, trashigen, umgangssprachlichen und dennoch genau gedrechselten Dialoge, die so typisch sind für Sven Regener. Und die bei aller Szenenhaftigkeit nie platt werden. Denn der, der die Zukunft hier als dumme Sau bezeichnet, hat allen Grund dazu, sich vor ihr zu fürchten. Er hat erlebt, was es bedeutet, wenn die Zukunft plötzlich wie eine pechschwarze Wand vor einem steht.
Plötzlich ist nichts mehr, wie es war
Es ist Karl Schmidt, dem Regener-Publikum bekannt aus der «Lehmann-Trilogie». Er ist Frank Lehmanns bester Freund aus Berliner Tagen. Der grosse, coole Typ mit den guten Sprüchen, Franks Wegbereiter und Wegbegleiter durch ein Jahrzehnt Kreuzberger Kiez. Er ist aber auch der, der just am 9. November 1989, am Tag des Mauerfalls, einen Zusammenbruch erleidet. Zu viel Stress, zu viel Alkohol, zu viele Drogen, zu viel Party, zu wenig Schlaf. Es ist nicht ganz klar, was da wirklich passiert ist. Aber irgendwas zerbricht in ihm, und Karl Schmidt findet sich in der Klapse wieder. Und nichts ist mehr, wie es einmal war.
Der Reiz der Raver-Szene
Jetzt, fünf Jahre später, taucht Karl Schmidt wieder auf. Er verlässt die betreute WG in Hamburg Altona mitsamt ihren gruppentherapeutischen Sitzungen, von denen er nie weiss, ob sie nun Plena oder Plenas oder gar Plenata heissen. Er lässt sich anheuern als Fahrer einer Gruppe reichlich durchgeknallter Berliner DJs auf ihrer Tournee durch ganz Deutschland mit dem Ziel, «das Ding mit der Liebe» unter die Leute zu bringen – Magical Mystery eben!
Und das ist reinster Abenteuerroman. Der Held wird in das für ihn gefährlichste Umfeld gesetzt, und die Spannung ergibt sich aus der Frage, ob er darin umkommt oder nicht. Für den multitoxisch vorbelasteten Karl Schmidt ist das gefährlichste Umfeld zweifellos die Raver-Szene der frühen Neunziger mit ihren durchtanzten Wochenenden, den Drogen und dem vielen Alkohol. Und tatsächlich besteht die Spannung dieses Romans auch darin, ob und wie Karl Schmidt diese Prüfung meistert. Und auch in der Frage, ob der Wahnsinn zurückkommt, ausgelöst durch irgendein komisches Erlebnis unterwegs.
Man weiss nie, wann der Wahnsinn zuschlägt
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Aber es sieht gar nicht so schlecht aus für Karl Schmidt. Das dünne Eis, auf dem er geht, scheint zu halten. Er entwickelt Strategien und Tricks, die ihn einen grossen Bogen um Drogen und Alkohol machen lassen. Und irgendwann setzt sich auch die Einsicht durch, dass der, der in der Klapse war, im Grunde genommen den viel kleineren Sprung in der Schüssel hat als die Raver-Kollegen hinten im Bus.
Und damit sind wir beim eigentlichen Thema dieses Buches: der Wahnsinn, von dem man nie weiss, wann er zuschlägt und bei wem. Und die Einsamkeit, die der erlebt, der dabei ist und dennoch nicht dazu gehört. Darüber hat Sven Regener einen Roman geschrieben, der trotz schrillem Ton und lautem Umfeld eine feine und sensible Seite hat.