Man erkannte ihn schon von weitem an den abstehenden Haaren, an dem Lockenkopf, der sich von Jahr zu Jahr mehr lichtete. Und wenn nicht alle in Zürich-Hottingen gewusst hätten, dass da der grosse Schriftsteller Urs Widmer die Strasse entlang spaziere, neben ihm seine Frau May, dann hätte man schon an der Erscheinung ahnen können: Da kommt einer, der ist wer.
Frisch, Dürrenmatt, Muschg, Widmer
Seit vielen Jahren nannte man Urs Widmer in einem Atemzug mit Max Frisch, Friedrich Dürrenmatt und Adolf Muschg. Er war ein Erzähler, der sich der Phantasie, der Magie, dem Surrealen verschrieben hatte – und der sich in seinem Werk trotzdem immer mit der Realität auseinandersetzte. Sein Ziel sei es, so sagte er mal in einem Interview, möglichst viel gesellschaftliche Wirklichkeit spürbar zu machen.
Ein trauriger Clown
Doch zwischendrin war er literarisch auch ganz bei sich: In seinen drei autobiographischen Romanen «Der Geliebte der Mutter», «Das Buch des Vaters» und «Ein Leben als Zwerg» kreiste er um die Frage «Wer bin ich?», und vor allem «Wo komme ich her?».
Freud und Leid, Humor und Tod – oft wurde Widmer als «trauriger Clown» bezeichnet. Seine Texte waren geprägt von verzweifeltem Witz, von einem Sound, der leicht daherkommt und auf Pointe geschrieben ist. Trotzdem ist der Tod schon früh allgegenwärtig in seinem Werk. In seinen Frankfurter Poetikvorlesungen von 2007 bringt er seine Poetologie augenzwinkernd auf eine Formel: «Vom Leben, vom Tod und vom Übrigen auch dies und das.»
Widmer erschreibt sich ein Werk
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1938 wird Urs Widmer in Basel geboren. Das Milieu seines Elternhauses ist geprägt von kulturellem und politischem Engagement. Sein Vater ist Literaturkritiker, Lehrer und Übersetzer aus dem Französischen. Urs Widmer bleibt seinem sozialen Milieu treu: Er studiert Germanistik und Romanistik, wird Lektor beim renommierten Suhrkamp Verlag in Frankfurt, dann Mitbegründer des Verlags der Autoren. Mit 30, mitten im Unruhejahr 1968, debütiert er als Schriftsteller mit seiner ersten Erzählung «Alois». Danach entstehen, als sei nichts leichter als das, Jahr um Jahr neben den Romanen auch Hörspiele und Theaterstücke. Zugleich übersetzt Widmer wie nebenher Joseph Conrad und Samuel Beckett, erzählt Shakespeares Königsdramen nach und die schönsten Geschichten aus 1001 Nacht.
Widmer erschreibt sich ein Werk, mit dem er weit über die Schweiz hinaus bekannt wird. In Deutschland verkörpert er ein Schweizertum, das alles andere als bieder oder eng ist, sondern weltgewandt und weltoffen.
«Vielleicht mein letztes Buch ...»
Immer wieder legt er das Bekenntnis zum Diogenes Verlag und zu dessen Verleger Daniel Keel ab. Mit diesem verbindet ihn eine enge Freundschaft. Nicht zuletzt, weil beide die Trennung zwischen ernsthafter Literatur und Unterhaltung nicht so streng nehmen.
Der Humor ist ihm bis zuletzt geblieben – den Hinweis darauf, dass «Reise an den Rand des Universums», seine im letzten Herbst erschienene Autobiographie über die ersten 30 Jahre seines Lebens, sein letztes Buch sein könne, legte man ihm eher als Koketterie aus.
«De mortuis nihil nisi bene» – bei Widmer ist es anders: Selten sind Nachrufe so nah dran an dem, was bereits vor dem Ableben des Autors über ihn zu lesen war. Vielleicht liegt es daran, dass Urs Widmer schon immer als unaufgeregt, besonnen, beliebt, humorvoll und pointiert, kurz: als grosser Schriftsteller galt.