Jules, der Jüngste von drei Geschwistern, erinnert sich, wie er sich noch mit seinem Vater gestritten und sich seine Mutter mit einem Kuss auf die Stirn verabschiedet hat. Dann verreisen die Eltern für ein Wochenende ohne Kinder – und kommen nicht mehr zurück.
Wegen eines tödlichen Autounfalls verliert Jules schon früh alles, was ihm lieb war. Er versucht tapfer zu bleiben. «In meinem neuen Bett im Internat verstecke ich ein Stofftier unter dem Kissen. Und ich weine nicht, nicht eine Sekunde.»
Der fröhliche, freche und mutige Junge wird ein unsicheres Wesen, zieht sich immer mehr in sich zurück. Verdreht ständig Wörter und sagt deshalb kaum noch was. Vereinsamt. Einzig Alva, die rothaarige Schulkameradin mit der Hornbrille, interessiert sich noch für ihn.
Vom Überwinden der Einsamkeit
Jules bleibt auch als Erwachsener ein Aussenseiter, ein Träumer. Schuldgefühle quälen ihn, und er vergeudet seine besten Jahre. Der Vater fehlt ihm ganz besonders: «Ich würde gern mal mit ihm in einer Bar sitzen und mich mit ihm unterhalten. Als Erwachsene.» Über Vater-Sohn-Dinge halt.
Immer öfter denkt der junge Mann dann an das rothaarige Mädchen von damals. Getraut sich aber lange nicht, Alva zu suchen. «Ich habe nie den Mut gehabt, sie zu gewinnen, immer nur die Angst, sie zu verlieren.»
Ein einfühlsames, psychologisch starkes Buch
Es geht in diesem zauberhaften Entwicklungs- und Liebesroman um einen Menschen, der ständig Angst hat, alles zu verlieren. Es geht ums Alleinsein und um die Frage, was wäre anders, wenn ich dies oder das anders gemacht hätte. Aber auch: Was wäre nicht anders?
Es ist zwar viel, was Benedict Wells seinem Ich-Erzähler zumutet. Doch trotz aller Tragik neigt der Autor nicht zu übermotivierten Gefühlsausbrüchen. Er hat ein feines Gespür für Seelenzustände und verfügt mit 32 Jahren über erstaunlich viel Lebenserfahrung.
Nah am wahren Leben
Der Romanheld wird für die Leserin zu einem Freund. Man nimmt teil an seinem Schicksal, will unbedingt wissen, wie es weitergeht. Das schafft Wells scheinbar mühelos mit einer unaufgeregten Erzählweise, einer schlichten und klaren Sprache, wie man sie sonst oft bei amerikanischen Literaten findet.
Der Titel «Vom Ende der Einsamkeit» weist darauf hin: Das Buch macht auch Mut. Jules Bruder sagt es mal so: «Du bist nicht schuld am Tod unserer Eltern. Aber du bist schuld daran, was diese Dinge mit dir machen. Du allein trägst Verantwortung für dich und dein Leben.» Schöne Sätze. Davon hat es noch viele in diesem Buch.
Mit Wurzeln im Kanton Luzern
Der junge deutsche Schriftsteller hat viel in seinen vierten Roman hineingesteckt. Sieben Jahre hat er daran gearbeitet. Anfangs habe der Roman noch 800 Seiten gehabt. Doch eine dicht erzählte Geschichte sei ihm wichtig gewesen, meint Wells, deshalb habe er sie nach und nach auf 350 Seiten gekürzt. «Ich wollte mir diesmal einfach so viel Zeit nehmen wie nötig und alles tun, was ich konnte.»
Mit «Vom Ende der Einsamkeit» zeigt Wells nun endgültig, dass der Erfolg seiner ersten Bücher («Becks letzter Sommer», «Fast genial» und «Spinner») kein Zufall ist. Der Mann kann schreiben, und wie!
Übrigens: Benedict Wells hat eine Luzerner Mutter und spricht gut schweizerdeutsch. Und ein Teil im Roman spielt in Eigenthal, einem kleinen Ort am Fusse des Pilatus.