Erst ein einziges Mal gelang einem deutschsprachigen Autor der Sprung auf den 1. Platz der «New York Times»-Bestenliste: Bernhard Schlink schaffte dieses Kunststück mit seinem Roman «Der Vorleser», nachdem er in der Fernsehshow der populären Talkmasterin Oprah Winfried aufgetreten war.
Nicht von ungefähr gelten die USA als das wohl härtestes Pflaster für den internationalen Buchmarkt: Nur gerade 3 Prozent des Sortiments sind dort übersetzte Titel aus aller Welt. Oder anders ausgedrückt: Die USA decken ihren Bedarf an Literatur zu 97 Prozent aus dem eigenen Land.
Harziger Start
Der Schriftsteller und ehemalige «Stern»-Journalist Jan-Philipp Sendker wusste um diese Schwierigkeiten. Aber nachdem sein Roman «Das Herzenhören» im deutschsprachigen Raum für Furore gesorgt hatte, wollte er den Schritt über den Atlantik wagen – mit einer Geschichte über die Liebe.
«Das Herzenhören» erzählt von einer Juristin, die auf der Suche nach ihrem spurlos verschwundenen Vater nach Burma kommt. Im Gepäck hat sie einen 40 Jahre alten Liebesbrief ihres Vaters an eine unbekannte Frau, den die Juristin in seiner Hinterlassenschaft gefunden hatte. Vor Ort stösst sie auf ein grosses Familiengeheimnis.
Jan-Philipp Sendker reiste also mit seinem Buch nach New York. Dort nahm er mit jenen Verlagen Kontakt auf, die auch schon Übersetzungen publiziert hatten. Aber stets erhielt er denselben Bescheid: Lassen Sie doch Ihr Buch am Empfang; bei Interesse werden wir uns melden. Jan-Philipp Sendker erhielt keinen einzigen Rückruf.
Auftritte in der tiefsten Provinz
Also liess er den Roman auf eigene Kosten ins Englische übersetzen, um so vielleicht eher Aufnahme zu finden. Gleichzeitig suchte er einen Agenten, der sich für ihn stark machen könnte. Aber auch da erhielt er lauter Absagen. Bis sich endlich eine deutsche Literaturagentin seiner erbarmte. Sie schlug als Strategie vor, den Titel vorerst in andere Länder zu verkaufen, um ihn so indirekt für die USA attraktiver zu machen. Und tatsächlich gelang es ihr, «Das Herzenhören» mehrfach im Ausland zu platzieren. Die Nachfrage in Amerika blieb trotzdem weiterhin aus.
Erst dank Vermittlung eines deutschen Freundes, der zufällig in New York die Chefin eines kleinen, unabhängigen Verlages kennengelernt und motiviert hatte, kam die Sache ins Rollen: «Das Herzenhören» erschien auf Englisch.
Dank originellen Marketing-Ideen und grosser Unterstützung der Buchhändlerinnen mauserte sich der Roman auch in den USA zum Verkaufsschlager. Unermüdlich reiste Jan-Philipp Sendker kreuz und quer durchs Land, scheute sich nicht, auch in der tiefsten Provinz in Buchhandlungen aufzutreten und trug so auch selber viel zu seinem persönlichen Erfolg bei. Der Nachfolgeband «Herzensstimmen» begeisterte erneut ein breites Publikum.
Plötzlich war sein Name auch in Übersee bekannt
Plötzlich kamen die Angebote. Fragt man Branchenkenner nach den Gründen für den Erfolg, gibt es unterschiedliche Antworten. Sicher hat es mit dem Stoff zu tun: Eine Liebesgeschichte im exotischen Burma, in der es um grosse Gefühle geht, hat internationales Potential. So gesehen ist «Das Herzenhören» alles andere als eine typisch deutsche Geschichte. Auch die Tatsache, dass Sendker gerade die kleinen, unabhängigen Buchhandlungen für sich gewinnen konnte, half bei der erfolgreichen Mund-zu-Mund-Propaganda.
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Plötzlich war Jan-Philipp Sendker also auch in Übersee ein bekannter Name: Die grossen Verlage wurden auf ihn aufmerksam, er konnte aus mehreren lukrativen Angeboten aussuchen.
Von Burma nach China
Sein dritter Roman «Das Flüstern der Schatten» erschien nun diesen Frühling beim renommierten Verlagskonzern «Simon & Schusters». Erstmals verlässt Jan-Philipp Sendker inhaltlich hier das romantische Burma und wechselt in die gnadenlose Geschäftswelt von Hongkong und China. In einer Mischung aus Liebesgeschichte und Kriminalroman erzählt er vom rasanten Wandel im Reich der Mitte. Ob das amerikanische Publikum auch dieses Thema goutiert, wird sich weisen. Das Interesse jedenfalls bei der Lancierung war gross.
Jetzt schon darf Jan-Philipp Sendker stolz sein: Seine Gesamtauflage in den USA liegt bei etwa 350‘000 Exemplaren. Das sichert dem deutschsprachigen Autor den 2. Platz, direkt hinter Bernhard Schlinks «Vorleser». Sein Traum von Amerika ist also nach acht Jahren – mehr als erwartet – Wirklichkeit geworden.