Ein russischer Chirurg experimentiert mit der Verpflanzung von Tierorganen in Menschen. Eines Tages dreht er den Spiess um und setzt einem Strassenköter die Hirnanhangsdrüse und die Hoden eines Kleinkriminellen ein. Daraufhin entwickelt sich die Kreatur zu einem verantwortungslosen Geschöpf. Erst die gewaltsame Rückoperation setzt der Gefahr ein Ende. Das ist der Plot von Michail Bulgakows «Das hündische Herz» – 1925 geschrieben und erstaunlich aktuell. Alexander Nitzberg hat den Roman übersetzt.
Nicola Steiner: Alexander Nitzberg, in diesem Roman geht es zur Sache: Ein Chirurg erschafft eine Kreatur, der er nicht gewachsen ist. Was hat Sie persönlich an dem Roman interessiert?
Alexander Nitzberg: Der Plot der Geschichte ist schnell erzählt, aber im Hintergrund finden sich genug kleine, verstörende Einzelheiten, die den Stoff vertiefen und seltsam ungreifbar werden lassen. Die grellen Farben sind nur Kulisse für einen düsteren, ja, dämonischen Vorgang, der immer stärker zu Tage tritt.
In nur drei Monaten, vom Januar bis zum März 1925, hat Michail Bulgakow das «Hündische Herz» geschrieben. Wie ein Vulkan hat er diesen Text ausgespuckt. Wie nähern Sie sich als Übersetzer, diesem Feuerwerk an?
Das Besondere an Bulgakows Sätzen ist deren Energie. Ich spreche sie immer wieder, zahllose Male, laut aus und versuche, mich von ihnen infizieren zu lassen, in ihren Klang und Rhythmus zu verfallen. Irgendwann springt dann auch hoffentlich der Funke über, und der dynamische Duktus des Originals überträgt sich auf meine Sprache, färbt sie bunt.
Bulgakow ist ein Sprachkünstler, sein Stil sei durch bizarre Bilder und groteske Situationen geprägt, schreiben Sie in Ihrem Nachwort zur Neuübersetzung von «Das hündische Herz». Welches Bild, welche Szene in diesem Roman ist Ihnen geblieben?
Bereits das allererste Kapitel. Bulgakow ist ja ein Dramatiker und weiss als solcher, wie der Zuschauer oder Leser gleich von Anfang an zu packen ist. Und im «Hündischen Herzen» ist der Leser doch zum grössten Teil auch ein Zuschauer, vor dessen Augen sich eine wahre Bilderflut ergiesst. Die Darstellung des Schneesturms aus der Hundeperspektive mit all dem Geheul und Geschwirr ist sehr intensiv und zugleich verrückt.
Welche Szene hat Ihnen am meisten Kopfzerbrechen bereitet?
Die meisten Schwierigkeiten hatte ich mit der Operationszene. Es fällt alles andere als leicht, lauter ekelhafte und drastische Dinge so zu erzählen, dass ihnen trotzdem auch immer eine gewisse Komik anhaftet. Bulgakows Sprache, die ich mir ja quasi einverleiben musste, liess die Passage mit aller Strahlkraft in meiner Fantasie aufflackern. Wenn ich nachts die Augen schloss, sah ich ein zuckendes Gehirn ...
Sie bezeichnen Michail Bulgakow als einen modernen Erzähler, der das Prinzip der Überraschung nutzt, oft ohne Vorwarnung in die Situation hineingeht. An welchen Stellen wird das in Ihren Augen am besten sichtbar?
Der Hund jault und jammert über seine Verbrühung, schafft es aber dabei, die einigermassen komplizierte Bezeichnung «Wirt der Kantine für Normale Ernährung der Mitarbeiter des Volkswirtschaftsrates» korrekt auszusprechen. In einer dramatischen, emotional aufgeladenen Situation wirkt so etwas doch höchst befremdlich, oder? Und gleich darauf, so mir nichts, dir nichts, der Exkurs über die Essgewohnheiten der Feuerwehrleute mit einer exakten Kostenaufstellung.
Das Buch wurde erst nicht veröffentlicht, die Sowjetzensur stufte es als konterrevolutionär ein. Das hatte unter anderem zur Folge, dass verschiedene Versionen des Textes kursierten, bis der Roman erstmals 1968 in einem Exilverlag in Frankfurt am Main auf Russisch erschien. Inwiefern hat diese Entwicklung Einfluss auf die Rezeption des «Hündischen Herzens»?
Das Publikationsverbot hat dem Werk den Stempel des Antisowjetischen aufgedrückt und damit Eindeutigkeit unterstellt, dort, wo groteske Vieldeutigkeit herrscht. Wer das Buch heute unreflektiert als eine «Satire auf die Sowjetunion» bezeichnet, übernimmt in meinen Augen ungewollt die Position der Sowjetzensur, nur eben mit umgekehrtem Vorzeichen bei der Wertung des Phänomens. Aber grosse Kunst ist nicht nur «für» oder «gegen» etwas. Sie lässt der Interpretation sehr viel Spielraum.