Bevor der iPod und andere digitale Geräte auf den Markt kamen, war Musikhören unterwegs eine aufwendige Sache. Haben Sie früher überhaupt Musik gehört, wenn Sie nicht zuhause oder im Konzert waren?
Benjamin Herzog: Ja, gerne und oft. Vor allem auf Reisen. Ich gehöre zur Generation Walkman. In die Ferien habe ich immer ungefähr ein Dutzend Kassetten mitgenommen. Das war dann immer eine ganz klare Entscheidung. Auch ein ganz klares Format. Auf einer Kassette gab es dann 90 Minuten Musik, mehr nicht. Das Ganze war also sehr überschaubar.
Tempi passati. Wie hören Sie heute?
Heute höre ich viel Musik auf meinem Telefon. Das iPhone ist ja wie das Nachfolgegerät des iPods. Nur, dass der iPod eine Bibliothek war, eine Sammlung. Auf dem iPhone kann ich jetzt auch über das Netz streamen. Der Unterschied zu früher ist auch der, dass das Streamen über Dienste wie Spotify oder Tidal geschieht.
Die Herausforderung besteht nun darin, Ordnung in meine Bibliothek bringen. Das ist manchmal etwas schwierig. Ich habe fast unbeschränkte Möglichkeiten. Es wird mir auch immer etwas Neues angeboten: «Hör Dir dieses oder jenes an …» Und: Tidal oder Spotify sind eher auf Popmusik ausgerichtet. Da ist klassische Musik, die ich auch höre, nicht immer einfach zu finden.
Nicht jedes Musikstück ist für Kopfhörer geeignet.
Viele Leute tragen heute Kopfhörer. Was macht es mit unserer Wahrnehmung der Musik, wenn wir unterwegs hören?
Es gibt Kopfhörer-Fetischisten, die manche Musik nur über Kopfhörer anhören. Manche Kopfhörer, vor allem die grossen, blenden Umweltgeräusche bis zu einem gewissen Grad aus. Solche Kopfhörer können die Musik sehr deutlich abbilden. Sie legen einem die Musik fast in die Ohrmuschel hinein.
Das kenn ich so auch, aber Musik mit grosser, dynamischer Spannbreite kommt beim Hören über Kopfhörer nicht voll zur Geltung. Da verpasse ich einiges. Vor allem das Leise. Ich lasse mich vielleicht eher beschallen. Ich finde nicht jedes Musikstück, vor allem aus der klassischen Musik, geeignet für Kopfhörer.
Mozart macht als MP3 keine Freude.
Beeinflussen mobile Abspielgeräte unsere Musikauswahl?
Das würde ich schon sagen. Ich könnte mir theoretisch den ganzen Mozart aufs iPhone laden, aber als flache MP3-Datei macht der keine Freude. Es hängt aber auch mit der Hörsituation zusammen. Also mit den hörbaren Umweltgeräuschen.
Ausserdem sind auch die virtuellen Bibliotheken der Streaming-Dienste bestimmend für das, was wir hören. Die sind eher auf Pop ausgerichtet.
Da finden wir bestimmte Stücke gar nicht oder erhalten komplett andere Vorschläge als das, was wir normalerweise hören. Die Unübersichtlichkeit ist da mitbestimmend.
15 Jahre nach der Erfindung des iPods, was sagen Sie: Überwiegen die Vor- oder die Nachteile?
Gewiss die Vorteile. Es braucht zwar etwas mehr Disziplin, um die Lieblingsstücke zu sortieren, weil ständig Neues reinkommt. Es braucht aber auch eine grössere Offenheit.
Das ist das Tolle: Wo früher der grosse Bruder oder eine Schulfreundin etwas vorgeschlagen haben, schlagen die Programme heute selbst Musik vor. Diese Vorschläge beruhen zwar auf Algorithmen, auf dem, was ich eh schon kenne. Aber wenn ich mich aus dem Fenster lehne und etwas höre, kommen auch spannende Vorschläge und erweitern das Repertoire. Und das ist ein Vorteil.
Sendung: Radio SRF 2 Kultur, Kultur kompakt, 6.50 Uhr.