Ein Wohnhaus kann auch ein Instrument sein: Knarrende Böden, zuschlagende Türen, Geflüster, Pendeluhren und der Geist einer Grossmutter. Zimmer voller klingender Dinge, die Erinnerungen wachrufen und Kuhhörner, die von schauerlichen Sagen erzählen. Ich habe mich für mein Feature vom Alphornspieler und Performer Balthasar Streiff durch seine Wohnräume führen lassen und bin dabei immer tiefer eingedrungen in eine geheimnisvoll-morbide Welt.
Ein Bildhauer setzt Töne
Dabei beginnt alles ganz heiter in einer sonnigen Küche bei einem guten starken Kaffee. Mikrofon und Aufnahmegerät sind bereit und Balthasar Streiff erzählt, – zum Beispiel von all seinen Instrumenten, dem Alphorn und dem Büchel, der Trompete und der Tuba, auch von alten Instrumenten wie Barocktrompete und Zink.
Balthasar Streiff ist ein musikalischer Quereinsteiger. Ursprünglich hat er sich nämlich zum Bildhauer ausbilden lassen, ist also einer, der Kunst in den Raum stellt. Aber das tut er eigentlich auch heute noch – nur jetzt mit Tönen und Klängen. Denn wenn Balthasar Streiff Musik macht, so ist diese meistens für ganz bestimmte Räume oder Orte oder Landschaften konzipiert.
Stimmhorn und Hornroh
Mit dem Alphorn hat Balthasar Streiff ein Instrument gefunden, das beides vereint: die Skulptur, denn das lange, schlanke Holzrohr steht unverrückbar in der Landschaft, und die Musik, denn das Alphorn klingt fein, zart und schmiegsam. Allerdings hat Streiff das Schweizer Nationalsymbol neu definiert: Er hat das Alphorn radikal aus seinem Volksmusikkontext herausgelöst und überrascht nun mit einzigartigen Klängen. Zusammen mit dem Stimmperformer Christian Zehnder war er jahrelang erfolgreich als Duo «Stimmhorn» unterwegs. Heute erlebt man ihn mit ganz unterschiedlichen Programmen: vom Soloprogramm «StreiffTöne» bis zu Kammermusik-Projekten mit seinem Quartett «Hornroh».
Ab in den Keller
Nachdem ich nun ein bisschen mehr über Balthasar Streiff erfahren habe, machen wir uns auf einen Rundgang durch sein Basler Wohnhaus. Unser Weg führt uns aus der Küche hinaus, durch Probenraum und Werkstatt hindurch, bis wir schliesslich in Streiffs Reich landen, nämlich in seinem Atelier im Keller. Ein grosser Raum, randvoll mit Instrumenten und an der Wand, fein säuberlich aufgereiht, Hörner in allen Farben und Formen: Kuhhörner, Ziegenhörner, Schafhörner.
Was bisher nur als Ahnung im Raum stand, bestätigt sich jetzt: Balthasar Streiff ist ein leidenschaftlicher Sammler von Hörnern aller Art und aus der ganzen Welt. Da gibt es kaum etwas, in das er nicht hineinbläst. Und mir wird dort unten im Keller jetzt auch bewusst, dass zu jedem Horn ein Tier gehört – ein totes Tier!
Adonis muss sterben
Und jedes Tier hat seine Geschichte: Da ist Franziska, das schottische Hochlandrind. Da sind Ulla und Martha, da ist Charlie, der stinkende Geissbock, da sind Ricco und Adonis und da ist Sheng, der tibetische Yak. Langsam dringen wir immer tiefer ein in die Welt dieser Hörner, und ich erfahre ganz nebenbei, dass sich selbst auf einem Knöchelchen vorzüglich blasen lässt – nämlich auf dem Oberschenkelknochen eines tibetischen Mönchs. Was stimmt eigentlich, und was stimmt nicht in dieser Zwischenwelt von Leben und Tod?
Morbide Hausmusik
Aus einem harmlosen Rundgang durch die Wohnräume von Balthasar Streiff entwickelt sich eine Hausmusik der besonderen Art. Alles beginnt zu klingen und zu singen, zu flüstern, rascheln und raunen, eine morbid-chaotische Geräuschwelt umspielt meine Ohren. Erst spät realisiere ich, dass ich unbemerkt in ein tödliches Eifersuchtsdrama um einen allzu schönen Geissbock geraten bin, und plötzlich wird mir klar: Adonis muss sterben.