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Musik Die Gyaling, ein tibetisches Instrument für die Götter

Die Urgrosstante unserer Oboe kommt aus dem Tibet: Sie heisst Gyaling. Doch nicht jeder darf das prächtig verzierte Instrument spielen. Strenge Regeln geben genau vor, wie ein Musiker das Instrument spielen muss. Hält er sich nicht daran, wird er bestraft.

Tibetisches Neujahr, feierlich, bunt und mittendrin zwei buddhistische Mönche. Sie spielen Gyaling: ein wunderschönes Instrument. Der Mittelteil ist schwarz-weiss geringelt, zwischen den Grifflöchern glitzern rote und türkisfarbene Steine. Kopf und Fuss sind aus prächtig verziertem Messing.

Die Gyaling ist eng verwandt mit der klassischen Oboe, aber um einiges lauter und für westliche Ohren schriller. Die Tibeter hören in ihr den Gesang der Vögel. Deshalb müssen die Gyaling-Spieler ununterbrochen mit den Fingern trillern.

Kein Instrument für alle

Gyaling dürfen nur die obersten Mönche spielen. Bevor sie das Instrument zum ersten Mal in die Hand nehmen, müssen sie viele Jahre lang auf der Blockflöte üben und unzählige Prüfungen ablegen.

Erst wer die 40 wichtigsten traditionellen Melodien auswendig und fehlerfrei vorspielen kann, darf mit dem strengen Studium der Gyaling beginnen. Und das hat auch seinen Grund: Denn wer es nicht fertig bringt, in einer Zeremonie fehlerfrei zu spielen, wird vom buddhistischen Regelmeister bestraft.

Strenge Regeln beim Spiel

Die Gyaling kommt vor allem im Zusammenhang mit den buddhistischen Zeremonien in Einsatz. Dort gelten strenge Regeln. Zum Beispiel dürfen die Mönche die Gyaling immer nur zu zweit spielen – genau die gleiche Melodie auf zwei identisch aussehenden Instrumenten. Für den tibetischen Geschmack klingt eine einzelne Gyaling «langweilig» und «unvollkommen».

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Auch dürfen die Gyaling-Spieler den Ton niemals unterbrechen: Sie müssen in manchen Zeremonien über eine Stunde nonstop spielen. Wenn ein Musiker Luft holen will, arbeitet er mit einem Trick: Sobald der Atem zu Ende geht, atmet der Spieler durch die Nase ein und presst im gleichen Moment einen Luftvorrat, den er in seinen Wangen gespeichert hat, durch das Rohrblatt. Diese Technik heisst Zirkularatmung.

Ob beim Lama-Empfang oder bei der Sündenreinigung

Im tibetischen Buddhismus spielt die Gyaling eine Schlüsselrolle. Je nach Zeremonie kommen ihr verschiedene Aufgaben zu: Die Mönche spielen sie beim Empfang eines Lamas aus einem anderen Kloster, als Lobeshymne, als Bittgesang oder als Musik zu einem Ritual, das von Sünden reinigt.

Am Losar-Fest – dem tibetischen Neujahr – dient die Musik der Gyaling als Opfergabe für die Gottheiten. Dafür gibt es festgelegte Melodien, die ein Spieler niemals verändern darf. Musik ist im Tibet also weder Freizeitbeschäftigung noch Unterhaltung, sondern ein wichtiger Teil der Religion. Die buddhistischen Mönche sagen: «Religion ist Klang.»

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