«Wunderbar, dieses Pianissimo in den ersten Geigen, das geht mitten ins Herz!» «Überhaupt nicht einverstanden, das klingt spröde, da fehlt mir die Intensität.» So klingt es auf Radio SRF 2 Kultur jeweils am Montagabend zwischen 20 und 22 Uhr, wenn sich zwei Experten, meistens eine Musikerin und ein Musikjournalist in der Diskothek über verschiedene Aufnahmen eines Musikstücks unterhalten.
Grosse Namen sind für einmal Nebensache
Da wird mit Leidenschaft diskutiert, analysiert, argumentiert, spekuliert und auch mal lustvoll gestritten. Das Spezielle dabei: Die beiden Experten wissen nicht, wer die jeweiligen Interpreten sind. So hören sie unvoreingenommen und lassen sich nicht durch grosse Namen beeindrucken.
Nicht selten kommt es vor, dass ein ganz unbekannter Interpret am Schluss das Rennen macht. Denn auch darum geht es in der Sendung «Diskothek»: am Schluss die beste Interpretation zu küren.
Die Qual der Wahl
Bei der Auswahl der Aufnahmen hat man oft die Qual der Wahl. Vor allem wenn es um ein Werk geht, von dem hunderte Aufnahmen existieren, überlege ich oft tagelang hin und her. Da spielt dann am Schluss natürlich der persönliche Geschmack auch eine Rolle.
Wobei es in erster Linie darum geht, unterschiedliche Aufnahmen in die Auswahl zu bringen, um eine möglichst grosse Bandbreite der Interpretationsansätze zu zeigen. Zwar bin ich mit dem Schlussentscheid der beiden Gäste nicht immer ganz einverstanden, aber ich leite die Diskussion neutral und überlasse die Kritik den Gästen – je angeregter die Diskussion, desto besser.
Geschärfte Wahrnehmung der Musik
Über drei Runden geht das Spiel. Welche Aufnahme überzeugt am meisten in Bezug auf Gestaltungskraft, Tempo, Dynamik? Manchmal steht der Sieger bei diesem Casting schnell fest. Manchmal halten sich aber auch mehrere Aufnahmen die Waage, oder keine gefällt in allen Punkten. Und manchmal sind sich die beiden Kritiker bis am Schluss überhaupt nicht einig.
Gerade wenn es um menschliche Stimmen geht, können die Meinungen diametral auseinandergehen. Der eine findet: «Diese Stimme ist wunderbar, sie berührt mich» und die andere kontert: «Ich finde sie furchtbar, sie lässt mich vollkommen kalt – überhaupt, viel zu viel Vibrato.»
Ratespiele und Reinfälle
Und dann ist da natürlich auch der Spass am Raten: Wer war der Pianist mit dem unglaublich langsamen Tempo? Da kann man sich vielleicht auch mal ärgern, weil der eigene Lieblingsinterpret gleich in der ersten Runde rausfliegt und man eine ganz andere Rangliste erstellt hätte. Ich erinnere mich an eine Diskothek über Chopins 2. Klavierkonzert, als die beiden Experten die Aufnahme mit Krystian Zimerman in der ersten Runde eliminierten. Da bekamen wir einige bitterböse Zuschriften.
Und manchmal kommt vielleicht auch ein bisschen Schadenfreude auf, wenn sich die Experten wieder einmal gründlich irren, etwa einen Countertenor für eine Frau halten. Oder wie der Cellist, der feststellte: «Wenn ich diesen feinen, fast zerbrechlichen Klang höre und dieses langsame Tempo, müsste das ein älterer Cellist sein. Zudem spürt man die jahrelange Erfahrung in seinem Spiel.» Ja? Voll daneben getippt: Es ist eine gerade mal 25-jährige Cellistin… Irren ist menschlich, und das Beispiel zeigt: Auch die Hörexperten können sich täuschen.
Reprise zum Jubiläum
Die 6. Sinfonie von Gustav Mahler war das allererste Werk, das in der Diskothek vor 25 Jahren besprochen wurde. Zur Jubiläumssendung greifen wir Mahlers 6. Sinfonie wieder auf. In der Zwischenzeit sind natürlich auch unzählige neue Aufnahmen davon entstanden. Die Frage aber bleibt: Wer überzeugt am meisten?